Mindestlohn – nicht jeder Auftraggeber haftet

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Das Mindestlohngesetz enthält verschiedene Instrumente zur Sicherung des Mindestlohns. Eine durchaus praxisrelevante Regelung ist die in § 13 Mindestlohngesetz (MiLoG) über eine Verweisung auf § 14 Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) verankerte unmittelbare und branchenunabhängige Haftung des Auftraggebers von Werk- oder Dienstleistungen. Der Auftraggeber haftet für die Zahlung des Mindestlohns gegenüber den Arbeitnehmern, die sein Auftragnehmer zur Erbringung der vereinbarten Leistung einsetzt. Dadurch können erhebliche Haftungsrisiken entstehen. Hinzu kommt, dass bei Verstößen empfindliche Bußgelder sowie der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen drohen.

Seit Inkrafttreten des MiLoG werden daher von Auftraggebern häufig sog. Garantie- oder Freistellungserklärungen und teilweise sogar Bankbürgschaften von Auftragnehmern verlangt, die dieses Risiko absichern sollen.

Allerdings handelt es sich bei näherer Betrachtung nicht um eine generelle Haftung jedes Auftraggebers, sondern vielmehr um eine sog. Generalunternehmerhaftung. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 16. Oktober 2019 (Az.: 5 AZR 241/18) klargestellt, dass diese Haftung insbesondere für Bauherren in der Regel nicht gilt und damit die einschränkende Auslegung des § 14 AEntG für die Haftung nach § 13 MiLoG bestätigt.

Im Folgenden finden Sie kurzen Überblick, wer vom Anwendungsbereich der Norm erfasst wird und in welchem Umfang eine Haftung droht.

Gesetzliche Haftungsgrundlage

§ 14 AEntG regelt, dass "ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt hat, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers, eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers zur Zahlung des Mindestentgelts [...] wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat, haftet."

a. „wie ein Bürge"

Durch die Verweisung auf den Bürgen finden die Vorschriften der §§ 765 ff. BGB Anwendung. Das macht die Haftung des Auftraggebers nach § 14 AEntG zu einer verschuldensunabhängigen Garantiehaftung. Sie greift selbst dann ein, wenn die Nichtleistung des Mindestlohns an die Arbeitnehmer für den Auftraggeber weder erkennbar noch vermeidbar war. Hinzu kommt, dass die Arbeitnehmer des Auftragnehmers sich direkt an den Auftraggeber wenden können, wenn ihnen der Mindestlohn nicht gezahlt wurde. Sie müssen vorab keine erfolglose Zwangsvollstreckung gegen ihren Arbeitgeber versucht haben. Der Auftraggeber haftet also nicht nur subsidiär.

b. Kettenhaftung

Die Haftung besteht für Ansprüche in der gesamten Nachunternehmerkette. Der Auftraggeber haftet also nicht nur gegenüber Arbeitnehmern, die unmittelbar mit dem Auftragnehmer in einem Arbeitsverhältnis stehen. Seine Haftung erstreckt sich auch auf alle von diesem Auftragnehmer eingesetzten Personen – also insbesondere auf Leiharbeitnehmer oder Arbeitnehmer von (weiteren) Subunternehmern, die der Auftragnehmer mit einzelnen Tätigkeiten betraut. Eine zahlenmäßige Begrenzung von denkbaren Subunternehmern sieht das Gesetz nicht vor.

c. Fehlende Exkulpationsmöglichkeit

Anders als in dem ursprünglich von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf des MiLoG soll es dem Auftraggeber nicht möglich sein, sich der Haftung durch den Nachweis fehlender positiver Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis von einem Verstoß seines Auftragnehmers oder dessen Nachunternehmers gegen die Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns zu entziehen. Es reicht also nicht aus, wenn der Auftraggeber auf den guten Ruf des Auftragnehmers vertraut.

d.    Umfang der Haftung

Der Auftraggeber haftet für das Mindestentgelt. Gemäß § 14 Satz 2 AEntG ist dies das Nettoentgelt (d.h. abzüglich Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen). Die Haftung umfasst zudem nur Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers für tatsächlich geleistete Arbeit, also keine Annahmeverzugslohnansprüche oder Ansprüche auf Verzugszinsen wegen verspäteter Zahlung.

e.    Weitere Risiken

Neben zivilrechtlichen Haftung drohen dem Auftraggeber u.U. auch erhebliche Bußgelder. Nach § 21 Abs. 2 MiLoG handelt ordnungswidrig, wer Werk- oder Dienstleistungen in erheblichem Umfang ausführen lässt, indem er als Unternehmer einen anderen Unternehmer beauftragt, von dem er weiß oder fahrlässig nicht weiß, dass dieser bei der Erfüllung dieses Auftrags den gesetzlichen Mindestlohn nicht oder nicht rechtzeitig zahlt oder einen Nachunternehmer einsetzt oder zulässt, dass ein Nachunternehmer tätig wird, der den gesetzlichen Mindestlohn nicht oder nicht rechtzeitig zahlt. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu EUR 500.000,00 geahndet werden. Zudem droht nach § 19 MiLoG der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Wer ist Auftraggeber i.S.d. MiLoG?

Nach dem Wortlaut des § 14 AEntG haftet der Auftraggeber bei jeder Dienst- oder Werkleistung, mit der er ein anderes Unternehmen beauftragt, für die Zahlung der gesetzlichen Mindestlöhne. Eine Beschränkung der Haftung ist zumindest dem Wortlaut nicht zu entnehmen. Das würde aber im Ergebnis dazu führen, dass ein Unternehmer bspw. auch für den Mindestlohn der Arbeitnehmer eines für die Sanitäranlagen im Büro zur Hilfe gerufenen Klempners, eines das Betriebsgelände pflegenden Gärtners oder eines Caterers, der die Verpflegung für ein Firmenevent liefert, haftet.

Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich allerdings, dass Unternehmer im Sinne der Vorschrift nicht jeder Unternehmer im Sinne von § 14 BGB sein soll. Im Bereich des Arbeitnehmerentsendegesetzes nimmt das Bundesarbeitsgericht daher seit langem eine einschränkende Auslegung des Unternehmerbegriffs i.S.d. § 14 AEntG vor. Die Bürgenhaftung wurde nach der Gesetzesbegründung ursprünglich als Generalunternehmerhaftung für die Baubranche eingeführt. Der Generalunternehmer sollte darauf achten, dass seine Subunternehmer die nach dem AEntG zwingenden Arbeitsbedingungen einhalten. Der Gesetzgeber habe dagegen nicht jeden Unternehmer, der eine Bauleistung in Auftrag gibt, in den Geltungsbereich einbeziehen wollen. Ziel des Gesetzes sei es vielmehr gewesen, Bauunternehmer, die sich zur Errichtung eines Bauwerkes verpflichtet haben und dies nicht mit eigenen Arbeitskräften erledigen, sondern sich zur Erfüllung ihrer Verpflichtung eines oder mehrerer Subunternehmer bedienen, als Bürgen haften zu lassen, damit sie letztlich im eigenen Interesse verstärkt darauf achten, dass die Subunternehmer die geltenden zwingenden Arbeitsbedingungen einhalten (BAG, Urteil vom 06.11.2002 – 5 AZR 617/01).

Unternehmen im Sinne der Vorschrift sind danach nur Generalunternehmer, die übernommene Aufträge nicht selbst ausführen, sondern Subunternehmer einschalten. Zwar entsprach es schon bisher der überwiegenden Meinung, dass diese von der Rechtsprechung zu § 14 AEntG entwickelten Leitlinien zur Haftung des Auftraggebers auch für die über § 13 MiLoG vermittelte Haftung gelten. Allerdings fehlte es bislang an einer höchstrichterlichen Klarstellung.

Entscheidung des Bundesarbeitsgericht: Keine Bürgenhaftung für Bauherrn der „Mall of Berlin“

Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem bisher nur als Pressemitteilung vorliegenden Urteil vom 16. Oktober 2019 (Az.: 5 AZR 241/18) die einschränkende Auslegung nunmehr auch im Hinblick auf § 13 MiloG ausdrücklich bejaht. Danach unterliegen Unternehmer, die lediglich als bloße Bauherren eine Bauleistung in Auftrag geben, nicht der Haftung nach § 13 MiloG i.V.m. § 14 AEntG.

a.    Sachverhalt

Die Beklagte hatte auf einem ihr gehörenden Grundstück in Berlin ein Einkaufszentrum, die „Mall of Berlin“ errichten lassen. Sie verwaltet das Einkaufszentrum und vermietet dessen Geschäftsräume an Dritte. Für den Bau des Gebäudes beauftragte sie einen Generalunternehmer, der wiederum mehrere Subunternehmer einschaltete. Bei einem dieser Subunternehmer war der Kläger als Bauhelfer beschäftigt. Der Subunternehmer blieb ihm – trotz rechtskräftiger Verurteilung in einem Arbeitsgerichtsprozess – Lohn schuldig. Über das Vermögen des Generalunternehmers wurde zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet.

Der Kläger hat die Beklagte deshalb wegen des ihm für seine Arbeit auf der Baustelle des Einkaufszentrums noch zustehenden Nettolohns in Anspruch genommen. Er führte an, dass auch die Beklagte nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz als Unternehmerin für die Lohnschulden eines Subunternehmers hafte. Sowohl das Arbeitsgericht Berlin als auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wiesen die Klage zurück.

b. Einschränkende Auslegung des § 14 AEntG

Die dagegen vor dem Bundesarbeitsgericht eingelegte Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Die Beklagte unterliege als bloße Bauherrin nicht der Bürgenhaftung des Unternehmers nach § 13 MiLoG i.V.m. § 14 AEntG. Der Begriff des Unternehmers sei im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 14 AEntG nach Sinn und Zweck einschränkend auszulegen.

Davon erfasst werde nur der Unternehmer, der sich (selbst) zur Erbringung einer Werk- oder Dienstleistung verpflichtet hat und diese nicht mit eigenen Arbeitskräften erledigt, sondern sich zur Erfüllung seiner Verpflichtung eines oder mehrerer Subunternehmer bedient. Gebe er auf diese Weise die Beachtung der zwingenden Mindestarbeitsbedingungen aus der Hand, sei es gerechtfertigt, ihm die Haftung für die Erfüllung der Mindestlohnansprüche der auch in seinem Interesse auf der Baustelle eingesetzten Arbeitnehmer aufzuerlegen.

Dies treffe aber auf die Beklagte nicht zu. Sie habe lediglich als Bauherrin den Auftrag zur Errichtung eines Gebäudes für ihren betrieblichen Eigenbedarf an einen Generalunternehmer erteilt und damit nicht die Erfüllung eigener Verpflichtungen an Subunternehmer weitergegeben. Mit der Vergabe des Bauauftrags schaffe sie nur die Grundlage dafür, ihrem Geschäftszweck, der Vermietung und Verwaltung des Gebäudes, nachgehen zu können.

Fazit

§ 13 MiLoG i.V.m. § 14 AEntG regelt also keine umfassende Auftraggeberhaftung, sondern eine Generalunternehmerhaftung. Nur soweit ein Auftraggeber sich zur Erfüllung einer ihm selbst vertraglich obliegenden Verpflichtung zur Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen eines Subunternehmers bedient, haftet er auch. Wenn er lediglich seinen betrieblichen Eigenbedarf befriedigt, also z.B. einen Gärtner zur Pflege des Betriebsgeländes beschäftigt, die Kantine oder Sicherheitsdienstleistungen fremdvergibt, so beauftragt er den jeweiligen Auftragnehmer nicht in Erfüllung einer eigenen vertraglichen Leistungspflicht. Daher haftet er in diesem Fall nicht für die Mindestlohnansprüche der vom Auftragnehmer oder etwaigen Subunternehmern eingesetzten Arbeitnehmer.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts kommt im Ergebnis nicht überraschend, schafft aber Rechtssicherheit. Bislang war die Reichweite der Auftraggeberhaftung nach dem MiLoG aufgrund des Wortlauts der Normen teilweise in Frage gestellt worden. Umso erfreulicher ist die höchstrichterliche Klarstellung. Abzuwarten bleibt, ob die ausführliche Entscheidungsbegründung weitere inhaltliche Vorgaben für die Abgrenzung zwischen haftenden Generalunternehmern und nicht haftenden anderen Auftraggebern enthält.

Sollten Sie hierzu oder zu weiteren Themen im Zusammenhang mit dem Mindestlohngesetz Fragen haben, sprechen Sie uns gern an.

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