Der Abschluss eines Aufhebungsvertrages gilt gemeinhin als sicherer Weg zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Regelmäßig erfolgt dabei ein Ausgleich der wechselseitigen Interessen, was bei vorangegangenen Konflikten zu einer Befriedung der Situation beiträgt. Reut eine Seite – in der Regel den/die Arbeitnehmer*in – die Unterschrift, wird gelegentlich versucht, den Vertrag wegen Drohung, Täuschung oder Irrtums anzufechten. Dies spielt in der Praxis wegen der strengen Voraussetzungen allerdings kaum eine nennenswerte Rolle.
In einer vielbeachteten Entscheidung vom 7. Februar 2019 (6 AZR 75/18) hatte der sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts festgestellt, dass ein Aufhebungsvertrag darüber hinaus auch dann unwirksam sein könne, wenn er unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen sei (hierzu unser Beitrag "Neue Spielregeln beim Abschluss von Aufhebungsverträgen?"). Ob das der Fall ist, sei anhand der Gesamtumstände der konkreten Verhandlungssituation im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen. Das Bundesarbeitsgericht führte damals aus, das „Gebot fairen Verhandelns" sei eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht. Es werde verletzt, wenn eine Seite eine psychische Drucksituation schaffe, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners über den Abschluss eines Aufhebungsvertrages erheblich erschwert. Als Beispiele wurden genannt:
- Nutzung eines Überraschungsmoments / Überrumplung
- Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen, die erheblich ablenken oder sogar den Fluchtinstinkt wecken
- Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse
Diese Grundsätze hat das Bundesarbeitsgericht in seiner aktuellen Entscheidung vom 24. Februar 2022 (6 AZR 333/21) weiter konkretisiert und teilweise relativiert.
In dem zugrunde liegenden Fall stritten die Parteien über den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages. Am 22. November 2019 führten der Geschäftsführer und der Anwalt der Beklagten ein unangekündigtes Gespräch mit der Klägerin im Büro des Geschäftsführers. Die Klägerin war als Teamkoordinatorin Verkauf beschäftigt. Es wurde der Vorwurf erhoben, sie habe unberechtigt Einkaufspreise in der EDV der Beklagten abgeändert und reduziert, um so einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln. Die Klägerin unterzeichnete nach einer etwa zehnminütigen Pause, in der die drei anwesenden Personen schweigend am Tisch saßen, den von der Beklagten vorbereiteten Aufhebungsvertrag. Dieser sah u. a. eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 2019 vor. Die weiteren Einzelheiten des Gesprächsverlaufs blieben streitig. Die Klägerin erklärte am 29. November 2019 die Anfechtung des Aufhebungsvertrages wegen widerrechtlicher Drohung.
Mit ihrer Klage machte die Klägerin den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses geltend. Sie behauptete, ihr sei für den Fall der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrags eine fristlose Kündigung sowie die Erstattung einer Strafanzeige in Aussicht gestellt worden. Sie sei überrascht über die Vorhaltungen gewesen, die sie zunächst gar nicht verstanden habe. Ihrer Bitte, eine längere Bedenkzeit zu erhalten und Rechtsrat einholen zu können, sei nicht entsprochen worden. Der Anwalt der Beklagten habe erklärt, dass dann, wenn die Klägerin durch die Tür gehe, auch wenn sie nur die Toilette aussuchen wolle, der Abschluss des Aufhebungsvertrages nicht mehr in Betracht komme. Damit habe die Beklagte gegen das Gebot fairen Verhandelns verstoßen. Das Arbeitsgericht Paderborn gab der Klage statt, die dagegen eingelegte Berufung der Beklagten beim Landesarbeitsgericht Hamm war erfolgreich.
Die Revision der Klägerin vor dem Bundesarbeitsgericht hatte jedoch keinen Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht kam zu dem Ergebnis, dass es – auch wenn der von der Klägerin geschilderte Gesprächsverlauf zu ihren Gunsten unterstellt würde – an der Widerrechtlichkeit der behaupteten Drohung gefehlt habe. Ein verständiger Arbeitgeber habe im vorliegenden Fall sowohl die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung als auch die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen dürfen.
Auch ein unfaires Verhandeln der Beklagten sah das Bundesarbeitsgericht in diesem Fall nicht als gegeben an. Allein der Umstand, dass die Beklagte den Abschluss eines Aufhebungsvertrags von der sofortigen Annahme ihres Angebots abhängig gemacht hatte, stelle für sich genommen keine Pflichtverletzung dar, auch wenn dies dazu führte, dass der Klägerin weder eine Bedenkzeit verblieb noch sie erbetenen Rechtsrat einholen konnte. Die Entscheidungsfreiheit der Klägerin sei dadurch nicht verletzt worden.
Für die Praxis bedeutet dies, dass bei einem durch hinreichende Tatsachen begründeten Verdacht einer Straftat oder schwerwiegenden Pflichtverletzung auch weiterhin eine fristlose Kündigung und ggf. eine Strafanzeige in Aussicht gestellt werden darf. Dies stellt im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages weder eine widerrechtliche Drohung dar, noch handelt es sich um einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns. Problematisch bleiben hingegen „Hausbesuche" bei Beschäftigten oder die „Einladung" akut arbeitsunfähig Erkrankter zu einem Beendigungsgespräch. In derartigen Fällen steht der Vorwurf des unfairen Verhandelns von vornherein mit im Raum.
Interessant sind die Ausführungen zum Einräumen einer Bedenkzeit sowie zum Einholen von Rechtsrat. Beides hielt das Bundesarbeitsgericht in diesem Fall nicht für notwendig und befindet sich damit auf der Linie der früheren Rechtsprechung. Diese Deutlichkeit überrascht, denn nach der Entscheidung von 2019 wurde vielfach angenommen, dass faires Verhandeln sowohl eine angemessene Bedenkzeit als auch die Möglichkeit des Einholens von Rechtsrat voraussetze. Es bleibt abzuwarten, ob die Begründung der aktuellen Entscheidung, die bislang nur als Pressemitteilung vorliegt, diese klare Aussage noch einschränkt.
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