Das Coronavirus COVID-19 breitet sich nun auch in Deutschland weiter aus. Damit kommen auf Arbeitgeber neue Herausforderungen zu. Neben der Sicherstellung der betrieblichen Abläufe und dem Schutz der Mitarbeiter stellt sich die Frage, ob und wie sich epidemiebedingte Betriebsstörungen auf die Vergütungsansprüche der Mitarbeiter auswirken.
Im Folgenden möchten wir Ihnen für einige denkbare Sachverhaltskonstellationen erste rechtliche Hilfestellungen geben. Da Epidemien in Deutschland äußerst selten vorkommen, gibt es kaum gesicherte Rechtsprechung, an der sich Arbeitgeber orientieren können. Die sich abzeichnenden rechtlichen Fragen sind daher unter Heranziehung der allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätze zu lösen, was regelmäßig mit gewissen Unsicherheiten behaftet ist.
1. Der Mitarbeiter kommt nicht zur Arbeit, weil Kindergärten/Schulen geschlossen sind und er die Betreuung seiner Kinder übernehmen muss.
In dieser Konstellation kommt ein Entgeltfortzahlungsanspruch des Mitarbeiters gemäß § 616 BGB in Betracht. Nach dieser Vorschrift hat ein Arbeitgeber die Vergütung fortzuzahlen, wenn ein Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne Verschulden an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert ist.
Ein in der Person des Arbeitnehmers liegender Grund besteht, wenn der Verhinderungsgrund aus seiner persönlichen Sphäre stammt. Nicht erfasst werden objektive Leistungshindernisse, d.h. Hindernisse, die zur selben Zeit für mehrere Arbeitnehmer gleichzeitig bestehen, wie dies beispielsweise bei Unwettern oder Verkehrsstörungen der Fall ist. Aus unserer Sicht spricht viel dafür, dass jedenfalls eine großflächige Schließung von Betreuungseinrichtungen aufgrund einer Epidemie als objektives Leistungshindernis angesehen werden kann, da auch in dieser Konstellation viele Arbeitnehmer von einem einheitlichen Verhinderungsgrund betroffen sind. Ein Entgeltfortzahlungsanspruch gemäß § 616 BGB wäre dann ausgeschlossen.
Sofern man § 616 BGB dennoch für anwendbar hielte, wäre weiter zu prüfen, ob die Norm aufgrund vertraglicher oder tarifvertraglicher Vereinbarungen wirksam abbedungen ist. Oft enthalten Tarifverträge Regelungen dazu, ob und in welchem Umfang Arbeitnehmern im Falle einer kurzfristigen Arbeitsverhinderung das Entgelt fortzuzahlen ist. Im Idealfall wird sogar klargestellt, dass ein darüber hinausgehender Entgeltfortzahlungsanspruch gemäß § 616 BGB ausgeschlossen ist. Fehlt eine solche ausdrückliche Regelung im Tarifvertrag, ist durch Auslegung zu ermitteln, zumindest ein konkludenter Ausschluss angenommen werden kann. Auch in Arbeitsverträgen finden sich gelegentlich Regelungen, die § 616 BGB abbedingen. Die Voraussetzungen für deren Wirksamkeit sind allerdings umstritten.
Kommt man zu dem Ergebnis, dass § 616 BGB trotz der vorstehenden Überlegungen grundsätzlich Anwendung findet, stellt sich schließlich die Frage, für welchen Zeitraum das Entgelt fortzuzahlen ist. Das Gesetz ordnet eine Fortzahlung für eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ an. Leider ist auch dies im Detail umstritten. Die denkbare Spannbreite dürfte von wenigen Tagen bis zu zwei Wochen reichen.
2. Ein Mitarbeiter kann nicht zur Arbeit kommen, weil er aufgrund einer behördlichen Anordnung seine Wohnung nicht verlassen darf und/oder er einem behördlichen Beschäftigungsverbot unterliegt.
In dieser Konstellation ist danach zu unterscheiden, ob der Mitarbeiter bereits arbeitsunfähig erkrankt ist oder nicht.
Ist der Mitarbeiter nicht arbeitsunfähig erkrankt ist, sondern wird beispielsweise nur als Ansteckungsverdächtiger unter Quarantäne gestellt bzw. mit einem Beschäftigungsverbot belegt, steht ihm für den Verdienstausfall grundsätzlich ein Entschädigungsanspruch gemäß § 56 Infektionsschutzgesetz (IfSG) zu. In den ersten sechs Wochen entspricht die Entschädigung dem Verdienstausfall und die Entschädigung ist vom Arbeitgeber zu zahlen. Dem Arbeitgeber steht auf Antrag ein entsprechender Erstattungsanspruch gegenüber der zuständigen Landesbehörde zu.
Der Entschädigungsanspruch besteht allerdings nur, sofern es tatsächlich zu einem Verdienstausfall kommt. Solange dem Mitarbeiter ein Entgeltfortzahlungsanspruch gegen seinem Arbeitgeber gemäß § 616 BGB zusteht, wäre dies nicht der Fall. Einige Landesbehörden scheinen aktuell davon auszugehen, dass ein solcher Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer von bis zu sechs Wochen besteht. Sofern § 616 BGB nicht (tarif-)vertraglich abbedungen wurde, wird es daher entscheidend darauf ankommen, ob eine epidemiebedingte behördliche Anordnung als subjektives oder objektives Leistungshindernis zu bewerten ist. Im letzteren Fall wäre ein Anspruch gemäß § 616 BGB ausgeschlossen. Nach unserer Auffassung dürfte ein objektives Leistungshindernis zumindest dann vorliegen, wenn eine entsprechende Quarantäne- oder Verbotsverfügung nicht nur gegenüber einzelnen Personen, sondern aufgrund eines einheitlichen Sachverhaltes gegenüber einer großen Anzahl von Personen erlassen wurde.
Liegt eine zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung des Mitarbeiters vor, gelten grundsätzlich die Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber für bis zu sechs Wochen Entgeltfortzahlung zu leisten hat. Nach Ende des Entgeltfortzahlungsanspruches hat der Mitarbeiter bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen Anspruch auf Krankengeld gegen seine Krankenkasse. Nicht abschließend geklärt ist, ob die Regelungen des Infektionsschutzgesetzes, d.h. insbesondere der dort zugunsten des Arbeitgebers geregelte Erstattungsanspruch gegenüber der zuständigen Landesbehörde, eingreift, wenn parallel zur krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit eine behördliche Quarantäneanordnung oder ein entsprechendes Beschäftigungsverbot besteht. Hier wird abzuwarten bleiben, ob die zuständigen Landesbehörden in diesen Konstellationen eine Erstattung ablehnen werden und ob dies ggf. einer gerichtlichen Überprüfung standhalten wird.
3. Ein Mitarbeiter kann nicht eingesetzt werden, weil andere Mitarbeiter krankheitsbedingt ausgefallen sind und deshalb der Arbeitsablauf nicht aufrechterhalten werden kann.
In dieser Konstellation ist die Vergütung nach den allgemeinen Grundsätzen der Betriebsrisikolehre fortzuzahlen. Der Arbeitgeber trägt grundsätzlich das Risiko, dass er seinen Betrieb aufgrund von Fällen höherer Gewalt wie z.B. Unglücksfällen, extremen Witterungsverhältnissen oder Naturkatastrophen nicht fortführen kann. Auch eine Epidemie und dadurch ausgelöste Personalausfälle dürften als ein Fall höherer Gewalt einzustufen sein. Damit gerät der Arbeitgeber hinsichtlich der Arbeitsleistung des Mitarbeiters in Annahmeverzug und schuldet gemäß § 615 BGB weiterhin die Vergütung.
Für Extremfälle hat das Bundesarbeitsgericht in älteren Entscheidungen zwar den Vorbehalt formuliert, dass diese Grundsätze nicht gelten, wenn das die Betriebsstörung herbeiführende Ereignis den Betrieb wirtschaftlich so schwer trifft, dass bei Zahlung der vollen Löhne die Existenz des ganzen Unternehmens gefährdet würde (vgl. BAG, Urt. v. 23.06.1994, NZA 1995, 468). Soweit ersichtlich, wurde aber noch in keinem Fall das Vorliegen dieser Voraussetzungen bejaht.
4. Ein Mitarbeiter kann nicht beschäftigt werden, weil der Betrieb aufgrund behördlicher Anordnung geschlossen wird.
Auch in dieser Konstellation wäre die Vergütung wohl grundsätzlich gemäß § 615 BGB fortzuzahlen. Allerdings wird vereinzelt vertreten, dass eine epidemiebedingte Betriebsstilllegung nicht mehr von dem vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebsrisiko erfasst sei. Nach dieser Ansicht käme allerdings eine Entgeltfortzahlungspflicht gemäß § 616 BGB in Betracht (siehe hierzu unsere Ausführungen unter Ziffer 2).
5. Ein Mitarbeiter kann nicht beschäftigt werden, weil der Arbeitgeber den Betrieb aufgrund aufgetretener Erkrankungsfälle in der Belegschaft „freiwillig“ geschlossen hat.
Im Falle einer „freiwilligen“ Betriebsschließung tritt ebenfalls Annahmeverzug ein, so dass die Vergütung gemäß § 615 BGB fortzuzahlen ist. Durch die Entscheidung, den Betrieb zu schließen, lehnt der Arbeitgeber die Annahme der Arbeitsleistung der gesunden Mitarbeiter ab.
Dagegen könnte man unter Umständen argumentieren, dass Annahmeverzug deshalb nicht vorliegt, weil für den Arbeitgeber die Annahme der Arbeitsleistung unzumutbar ist. Nach überwiegender Meinung soll eine Unzumutbarkeit insbesondere dann vorliegen, wenn die Annahme der Leistung Rechtsgüter des Arbeitgebers, seiner Angehörigen oder anderer Arbeitnehmer gefährden würde, deren Schutz Vorrang vor dem Verdienstinteresse des Arbeitnehmers einzuräumen ist. Bei einer durch eine hochansteckende Krankheit ausgelösten Epidemie ließe sich insofern die generelle Ansteckungsgefahr für die Mitarbeiter und die dem Arbeitgeber obliegende Fürsorgepflicht anführen. Dem Einwand, dass es jedem Mitarbeiter selbst überlassen bleiben muss, trotz einer bestehenden Ansteckungsgefahr zur Arbeit zu kommen, könnte man wohl entgegenhalten, dass eine Fortführung des Betriebes mit Freiwilligen dazu führen könnte, dass eine große Anzahl von Arbeitnehmern erkrankt und der Arbeitgeber somit mit erheblichen Entgeltfortzahlungsansprüchen und/oder lang anhaltenden Personalausfällen belastet würde. Ob eine solche Argumentation im Streitfall Erfolg hätte, ist jedoch völlig offen.
Ob in einer solchen Situation ein Einsatz der Arbeitnehmer im „Homeoffice“ möglich bleibt, hängt nicht nur von arbeitsorganisatorischen und technischen Voraussetzungen ab. Bislang ungeklärt ist auch, ob und unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber dies anordnen kann. Allerdings wird man in der Praxis wohl davon ausgehen können, dass der überwiegende Teil der Mitarbeiter von sich aus dazu bereit sein wird.
6. Möglicher Ausweg: Kurzarbeit?
Um die sich aus der beschriebenen Situation ergebenden wirtschaftlichen Belastungen des Arbeitgebers zu reduzieren und den Fortbestand des Betriebes zu sichern, kommt ggf. die Beantragung von Kurzarbeitergeld durch den Arbeitgeber in Betracht. Unter anderem können durch eine Epidemie bedingte Lieferengpässe oder Auftragsausfälle, aber auch behördlich angeordnete Betriebsschließungen, die nicht vom Arbeitgeber zu vertreten sind, einen Anspruch auf sog. konjunkturelles Kurzarbeitergeld begründen.
Auf diese Möglichkeit haben in den letzten Tagen bereits verschiedene Arbeitsagenturen hingewiesen – allerdings auch darauf, dass voraussichtlich mit einer Vielzahl von Anträgen und entsprechend langen Bearbeitungszeiten zu rechnen sein wird. Wichtig ist in einem solchen Fall vor allem die rechtzeitige Anzeige der Kurzarbeit gegenüber der zuständigen Arbeitsagentur.
Zudem kann der Arbeitgeber in der Regel nicht einseitig Kurzarbeit anordnen, sondern muss dies zunächst im Verhältnis zu den Arbeitnehmern wirksam vereinbaren. Zu beachten ist ferner, dass der Abbau von Arbeitszeitguthaben und Urlaub ggf. vorrangig sein kann.
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass eine drohende Epidemie Arbeitgeber vor vielfältige Herausforderungen stellt. Daher sollten Sie rechtzeitig Präventionsmaßnahmen ergreifen und auch Vorkehrungen für den Fall, dass es zu epidemiebedingten Störungen der Betriebsabläufe kommt. Besteht ein Betriebsrat, muss dieser im Hinblick auf die dabei in Betracht kommenden Mitbestimmungsrechte möglichst frühzeitig in die Planungen einbezogen werden.
Sprechen Sie uns gern an, wenn Sie weitere Fragen zu diesen Themen haben.
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