Die Energiewirtschaft durchlebt einen beispiellosen Wandel, der durch die fortschreitende Digitalisierung und den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energiequellen vorangetrieben wird. Daneben erfordert die Umstellung von einer im Wesentlichen zentralen auf eine dezentrale Energieversorgung unter Einbeziehung einer Vielzahl kleinerer und mittlerer Stromlieferanten eine Revision des an zentralen Strukturen ausgerichteten deutschen Energiemarktes. Zu diesen technischen und regulatorischen Herausforderungen gesellen sich die Forderungen der EU Erneuerbaren-Energien-Richtlinie („EE-Richtlinie“), wonach auch sog. Bürgerenergiegemeinschaften gefördert werden sollen. Und schließlich steigen die Anforderungen an den Nachweis der Herkunft von sog. Grünstrom, d.h. die eindeutige Identifizierung von Energieanlagen und von diesen gelieferten Mengen.
Virtuelle Kraftwerke
Virtuelle Kraftwerke (VK) versprechen eine effizientere, nachhaltigere und flexiblere Energieerzeugung und -verteilung. Ein virtuelles Kraftwerk ist eine Zusammenschaltung von dezentralen Stromerzeugungseinheiten, wie zum Beispiel Photovoltaikanlagen, Wasserkraftwerken, Biogas-, Windenergieanlagen, Blockheizkraftwerken sowie Batterie-Speicherkraftwerken zu einem Verbund. Dieser Verbund stellt elektrische Leistung verlässlich bereit und kann damit Leistung aus Großkraftwerken ersetzen. Anders als Kleinanlagen, kann ein virtuelles Kraftwerk bedarfs- und netztechnisch optimiert werden und ggf. am Regelmarkt teilnehmen. Damit erhöht sich die Wirtschaftlichkeit virtueller Kraftwerke gegenüber einzelnen Erzeugungseinheiten noch einmal erheblich.
Virtuelle Kraftwerke stehen im Zentrum der Dezentralisierungsbemühungen der deutschen Energiewirtschaft. Ihre Machbarkeit ist erwiesen, erste virtuelle Kraftwerke sind am Start. Die Bundesregierung hat mit der EEG-Novelle 2023 vor kurzem regulatorische Erleichterungen eingeführt, die eine Teilnahme virtueller Kraftwerke an Ausschreibungen erleichtern. Tatsächlich ist der Markt jedoch von einer Einbindung von kleinen und kleinsten Erzeugungsanlagen, wie sie mittlerweile große Verbreitung finden, noch weit entfernt. Auf der anderen Seite werden mittlerweile durch die Bündelung von Anlagen erhebliche Strommengen erzeugt, teilweise im vierstelligen Megawatt-Bereich.
Bürgerenergiegemeinschaften
Bürgerenergiegemeinschaften sind nach deutscher Definition in § 3 EEG Genossenschaften oder sonstige Gesellschaften, die im Wesentlichen personalistisch strukturiert und nach Art. 22 EE-Richtline berechtigt sein müssen, erneuerbare Energie zu produzieren, zu verbrauchen, zu speichern und verkaufen und innerhalb der Gemeinschaft die produzierte Energie gemeinsam zu nutzen.
Um die Regulierung von Bürgerenergiegemeinschaften tobt eine heftige Diskussion: Vielfach wird beklagt, dass Art. 22 EE-Richtlinie von Deutschland nicht ausreichend umgesetzt worden sei. Bürgerenergiegemeinschaften erfahren in Deutschland zwar eine gewisse Förderung, insbesondere wurden Ende letzten Jahres weitere Fördermittel für Windenergie-Bürgerenergiegesellschaften freigegeben; regulatorisch werden sie jedoch wie normale Energieversorger behandelt. D.h. sobald eine Netzeinspeisung erfolgt, was bei Windenergieanlagen zwangsläufig ist, können die Mitglieder der Gemeinschaft ihren Strom nur zu den üblichen – recht hohen – Preisen beziehen. Eine Privilegierung hinsichtlich des Strompreises, wie sie teilweise in anderen Ländern erfolgt, erhalten die Mitglieder von Bürgerenergiegemeinschaften in Deutschland nicht. Damit wird auf einen wesentlichen Anreiz zur Bildung von Bürgerenergiegemeinschaften verzichtet. Soweit ersichtlich besteht seitens des zuständigen Ministeriums auch keine Motivation, Bürgerenergiegemeinschaften auch in dieser Weise zu fördern.
Nach Ablauf der Umsetzungsfrist der EE-Richtlinie im Juni 2021 haben zahlreiche Verbände im August 2021 Beschwerde bei der EU gegen die Umsetzung mit der Forderung eingelegt, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik einzuleiten. Diese Beschwerde wurde von der Kommission aufgenommen, ein aktueller Stand dieses Verfahrens ist nicht bekannt.
Blockchain
Blockchain-Anwendungen sind in der Öffentlichkeit heute in erster Linie über BitCoin und andere sog. Kryptowährungen bekannt. Tatsächlich eröffnen sich aber auch im Energiesektor eine ganze Reihe von Anwendungsmöglichkeiten, die Gegenstand von Veröffentlichungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, Energieversorgern und Forschungsinstituten waren. Allgemein wird anerkannt, dass eine dezentrale Technologie für die Organisation eines dezentralen Energiemarktes einen erheblichen Beitrag leisten kann. Potenziale werden insbesondere in folgenden Bereichen gesehen:
- Abwicklung eines P2P-Energiehandels
- Nachweis der Erzeugung aus „grünen“ Anlagen („Proof of Green“) bzw. von CO2-Einsparungen („Carbon Credits“)
- Schaffung von Anreizsystemen für den Einsatz erneuerbarer Energien
- Einsatzmöglichkeiten im Rahmen des Europäischen Emissionshandelssystems (EU-ETS) und des sog. Voluntary Carbon Markets.
Derzeit befinden sich die Anwendungen jedenfalls in Deutschland noch weitgehend in der Erprobungsphase. Ein wesentlicher Baustein ist das von der Deutschen Energie Agentur (dena) entwickelte blockchainbasierte Machine Identity Ledger, das eine rechtssichere Identifizierung von Erzeugungsanlagen ermöglicht. Eine solches Ledger stellt eine wesentliche Infrastruktur für die automatisierte Abwicklung von Transaktionen (Energiehandel, Nachweiszertifikate, etc.) von Energie -Erzeugungsanlagen mit einer Vielzahl von Abnehmern wie z.B. Stromtankstellen dar. In anderen Ländern, insbesondere in Bürgerenergieprojekten in Österreich, ist der Nutzen von Blockchain-Technologien bereits nachgewiesen und bewährt. Anwender von Blockchain-Technologien müssen sich allerdings bewusst sein, dass die im Zusammenhang mit deren Einsatz regelmäßig entwickelten Token in Deutschland und bald auch in Europa finanzmarktregulatorische Fragestellungen aufwerfen können, die vor ihrem Einsatz geprüft werden müssen.
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