Zur Umsetzung der europäischen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) wird aktuell der neue European Sustainability Reporting Standard (ESRS) für eine einheitlich gültige Nachhaltigkeitsberichterstattung entwickelt. Ein zentrales Element der Nachhaltigkeitsberichterstattung wird hierbei die sogenannte doppelte Wesentlichkeitsanalyse sein.
Die neue Nachhaltigkeitsberichterstattung betrifft insbesondere auch mittelständische Unternehmen seit Inkrafttreten Ende 2023. Der erste Schritt zur gesetzlich geforderten Berichterstattung ist die Durchführung einer Wesentlichkeitsanalyse im Jahr 2024, sodass rechtzeitig ESG-Daten ab dem 1. Januar 2025 erfasst und im Jahr 2026 extern durch die Wirtschaftsprüfung geprüft werden können. Aktuelle Einblicke und Erkenntnisse aus laufenden Implementierungsprojekten bieten unser Update-Artikel.
Was ist eine Wesentlichkeitsanalyse im Rahmen der ESRS?
Die CSRD verpflichtet Unternehmen dazu, die für sie relevanten Themen aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance für die Nachhaltigkeitsberichterstattung durch eine Wesentlichkeitsanalyse zu bestimmen. Die Ergebnisse der Wesentlichkeitsanalyse dienen der zukünftigen Ausrichtung und Justierung des unternehmensweiten Nachhaltigkeitsmanagements.
Das Prinzip der doppelten Wesentlichkeit
Zur Ermittlung von wesentlichen Themen müssen Unternehmen das Prinzip der doppelten Wesentlichkeit anwenden. Auf der einen Seite sollen Unternehmen die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf Umwelt und Gesellschaft darstellen und auf der anderen Seite darlegen, welche Risiken und Chancen sich aus der Abhängigkeit von natürlichen und personellen Ressourcen für den finanziellen Erfolg des Unternehmens ergeben.
- Auswirkungen des Unternehmens auf Umwelt und Gesellschaft: Die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens kann positiv oder negativ sein und bezieht sich auf die gesamte Wertschöpfungskette. Die Berücksichtigung von internen und externen Stakeholderinteressen ist besonders relevant.
- Finanzielle Auswirkungen aus Umwelt und Gesellschaft auf das Unternehmen: Aus der Abhängigkeit des Unternehmens von natürlichen und personellen Ressourcen können sich Risiken und Chancen für den finanziellen Erfolg ergeben. Diese müssen in einer differenzierten Risiko- und Chancenbetrachtung erarbeitet und beschrieben werden.
Wenn ein Unternehmen mit einem Nachhaltigkeitsthema besonders relevante Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft hat oder sich hohe Risiken oder Chancen aus ihm ergeben, wird es als wesentlich und somit berichtspflichtig eingestuft.
Praxistipps zur Umsetzung der Wesentlichkeitsanalyse
Die ESRS geben Umfang und Aufwand einer Wesentlichkeitsanalyse nicht im Detail vor. Sie hängen davon ab, wie anspruchsvoll die Nachhaltigkeitsambitionen des Unternehmens sind. Wichtig ist vor allem eine revisionssichere Dokumentation des Prozesses der Wesentlichkeitsanalyse, die in der Jahresabschlussprüfung mit begrenzter Sicherheit in Zukunft nachvollziehbar sein muss. Bei der Durchführung der Analyse kann auf folgende Methoden zurückgegriffen werden:
- simulierte Befragungen,
- in- und externe Umfragen bzw.
- Interviews oder Workshops.
In der Praxis hat sich das Interviewformat auf Managementebene und die Mitarbeiterbeteiligung durch eine Umfrage als besonders tauglich erwiesen.
Hierbei bietet es sich an, entweder diese mit einer zusätzlich zu erwerbenden IT-Software durchzuführen oder das MÖHRLE HAPP LUTHER-Wesentlichkeitstool anzuwenden. Das Wesentlichkeitstool berücksichtigt dabei neben den Auswirkungen, Chancen und Risiken zusätzlich alle geforderten Zeithorizonte sowie Einschätzungen zum Schweregrad, ggf. Unabänderbarkeit und der Wahrscheinlichkeit gemäß ESRS.
Die drei Schritte der Wesentlichkeitsanalyse
Schritt 1: ESG-Shortlist und IROs
Im ersten Schritt werden die ESG-Shortlist und die darauf aufbauenden IROs (Impact, Risk, Opportunities) in einem Workshop oder von Themenverantwortlichen erarbeitet. Als Vorbereitung zur eigentlichen Wesentlichkeitsanalyse werden dabei potenziell wesentliche Themen durch eine Branchen- und Umfeldanalyse gesammelt und vorsortiert. Die wichtigsten Stakeholder des Unternehmens werden, beispielsweise über eine Dokumentenanalyse oder Direktbefragung, eingebunden. Die erarbeitete Themenliste gilt es dann entsprechend den Anforderungen der ESRS in wesentliche und unwesentliche Themenbereiche zu kategorisieren. Für die wesentlichen Themen werden im Folgenden IROs definiert und zusammen mit Entscheidungsträgern aus den Unternehmen festgelegt.
Schritt 2: Die Wesentlichkeitsbewertung
Im zweiten Schritt wird anhand der IROs eine Wesentlichkeitsbewertung durchgeführt. Bei der Wesentlichkeitsbefragung bewerten zum Beispiel Top-Manager die Themen der ESG-Shortlist nach dem Prinzip der doppelten Wesentlichkeit. Die Auswirkungen eines Unternehmens auf die Umwelt werden hinsichtlich positiver und negativer Auswirkungen unterschieden. Zudem wird hier unterschieden, ob die Auswirkungen bereits tatsächlich bestehen oder potenzieller Natur sind. Des Weiteren werden unterschiedliche Zeithorizonte betrachtet. Abschließend wird der Schweregrad der Auswirkungen von den Befragten eingeschätzt.
Schritt 3: Auswertung der Wesentlichkeitsbewertung
Im dritten Schritt wird die Wesentlichkeitsbewertung ausgewertet. Die Auswertung erfolgt im Rahmen der aktuell angewendeten Methode quantitativ über das MÖHRLE HAPP LUTHER-Wesentlichkeitstool (Grundlage mathematisches Modell). Für diesen Schritt haben wir ein Tool entwickelt, das zur Berechnung der Wesentlichkeitsmatrix genutzt wird. Auf Grundlage der ESG-Wesentlichkeitsmatrix werden die ESG-Fokusthemen in einem Workshop mit dem Top-Management final bestimmt. Aus den ESG-Fokusthemen ergeben sich die Berichtspflichten für die ESRS-Nachhaltigkeitserklärung im Lagebericht bzw. Konzernlagebericht.
Die Wesentlichkeitsanalyse als Chance für mehr Nachhaltigkeit
Die Wesentlichkeitsanalyse ist eine weitere Compliance-Vorgabe – mit vielen Chancen für Unternehmen. Anzuführen sind in diesem Zusammenhang insbesondere
- neue Strategieimpulse,
- positive Differenzierungsmerkmale zu den Wettbewerbern
- sowie eine höhere Kundenzufriedenheit und Mitarbeitermotivation.
Diese können sich auch positiv auf den Beitrag zum Unternehmenserfolg auswirken und zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit im globalen Markt beitragen.
Gern unterstützen wir Sie bei der Planung und Umsetzung der ESRS und der Wesentlichkeitsanalyse in Ihrem Unternehmen – sprechen Sie uns an.
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