Gleich zwei praxisrelevante Entscheidungen und eine neue EuGH-Vorlage gab es in der ersten Jahreshälfte 2023 auf dem Gebiet der umsatzsteuerlichen Organschaft.
Was ist eine umsatzsteuerliche Organschaft?
Im Falle einer umsatzsteuerlichen Organschaft werden mehrere rechtlich selbständige Unternehmen für umsatzsteuerliche Zwecke als ein einheitliches Unternehmen behandelt. Daraus folgt insbesondere, dass zwischen diesen Unternehmen ausgeführte Umsätze nicht der Umsatzsteuer unterliegen. In der Folge kann für Unternehmen, die nicht oder nur teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, interessant sein, ihre Leistungen innerhalb einer umsatzsteuerlichen Organschaft zu beziehen.
Wann liegt eine umsatzsteuerliche Organschaft vor?
Eine umsatzsteuerliche Organschaft liegt vor, wenn eine juristische Person (sog. Organgesellschaft) finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen eines anderen (des sog. Organträgers) eingegliedert ist. Teilweise können mittlerweile auch Personengesellschaften Organgesellschaften sein.
Unter der finanziellen Eingliederung ist der Besitz der entscheidenden Anteilsmehrheit an der Organgesellschaft zu verstehen, die es dem Organträger ermöglicht, durch Mehrheitsbeschlüsse seinen Willen in der Organgesellschaft durchzusetzen. Wirtschaftliche Eingliederung bedeutet, dass die Organgesellschaft nach dem Willen des Unternehmers im Rahmen des Gesamtunternehmens, und zwar im engen wirtschaftlichen Zusammenhang mit diesem, wirtschaftlich tätig ist. Die organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung tatsächlich wahrgenommen wird.
Modifizierung der Voraussetzung der finanziellen Eingliederung
Bisher war es für das Vorliegen der finanziellen Eingliederung erforderlich, dass der Organträger über die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft verfügt. In einem aktuellen Fall vor dem Bundesfinanzhof (BFH-Urteil vom 18. Januar 2023, Az. XI R 29/22 (XI R 16/18)) hielt eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) eine Beteiligung von 51 % an einer GmbH. Sowohl die GmbH als auch die KdöR wurden von derselben natürlichen Person geführt. In der Gesellschafterversammlung der GmbH hatte die KdöR 7 von 14 Stimmen, also (nur) die Hälfte.
Der BFH bejahte die finanzielle Eingliederung
Der BFH bejahte – anders als das Finanzamt – die finanzielle Eingliederung und im Ergebnis auch die umsatzsteuerliche Organschaft trotz fehlender Stimmenmehrheit. Entscheidend sei, dass der Organträger in der Lage ist, seinen Willen bei der Organgesellschaft durchzusetzen. Sofern die finanzielle Eingliederung weniger stark in Erscheinung tritt, könnte zusammen mit einer stark ausgeprägten organisatorischen Eingliederung trotzdem eine Organschaft begründet werden. Eine besonders stark ausgeprägte organisatorische Eingliederung lag in dem entschiedenen Fall aufgrund der Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen von Organgesellschaft und Organträger vor. Dadurch konnte der Organträger in der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft seinen Willen durchsetzen und in der Gesellschafterversammlung abweichende Weisungen verhindern.
GmbH & Co. KG als Organgesellschaft
Die Finanzverwaltung hat sich mittlerweile aufgrund zuvor ergangener höchstrichterlicher Rechtsprechung dahingehend positioniert, dass auch Personengesellschaften als Organgesellschaften fungieren können. Voraussetzung dafür sei jedoch, dass neben dem Organträger nur solche Personen an der Personengesellschaft beteiligt sind, die wiederum in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind.
Nunmehr hatte der BFH zu entscheiden, ob eine GmbH & Co. KG als Organgesellschaft in Betracht kommt (Urteil vom 16. März 2023 – Az. V R 14/21 (V R 45/19)). Die Besonderheit im Urteilsfall lag darin, dass neben der Komplementär-GmbH, die kapitalmäßig nicht beteiligt war, zwei natürliche Personen mit 80 % bzw. 20 % an der GmbH & Co. KG beteiligt waren. Potenzieller Organträger war der 80 % - Gesellschafter im Rahmen seines Einzelunternehmens. Die Finanzverwaltung hatte das Vorliegen einer umsatzsteuerlichen Organschaft unter Berufung auf eine fehlende finanzielle Eingliederung sämtlicher Gesellschafter der GmbH & Co. KG in das Unternehmen verneint.
Personengesellschaft mit einer kapitalistischen Struktur" Organträger
Der BFH wiederum entschied, dass auch eine Personenhandelsgesellschaft mit einer „kapitalistischen Struktur" (insbesondere GmbH & Co. KG) Organgesellschaft sein kann, wenn neben dem Organträger auch solche Personen Gesellschafter der Personenhandelsgesellschaft sind, die nicht in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind. Ausreichend sei, dass der Organträger über eine Stimmrechtsmehrheit bei der GmbH & Co. KG verfügt. Damit schließt sich der BFH im Ergebnis einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aus 2021 an. Unklar bleibt allerdings, weshalb der BFH – anders als der EuGH – eine Personenhandelsgesellschaft mit einer „kapitalistischen Struktur" als erforderlich ansieht und wie genau diese zu definieren ist.
Ausdrücklicher Antrag erforderlich für einheitliche Beurteilung als Organschaft
Dem Urteil wohnte zudem eine verfahrensrechtliche Komponente inne: Der Kläger konnte nämlich nicht für sich beanspruchen, im selben Besteuerungszeitraum für einen Unternehmensteil (Organträger) auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und für den anderen Unternehmensteil (Organgesellschaft) nach der geänderten Rechtsprechung besteuert zu werden. Anderenfalls bestünde das Risiko von Steuerausfällen, da eine Umsatzsteuerfestsetzung gegen die Organgesellschaft aufzuheben wäre und gleichzeitig bei dem Organträger lediglich dessen eigene Umsätze, nicht jedoch auch die der Organgesellschaft zu erklären wären. Um dies zu vermeiden, ist daher ein ausdrücklicher Antrag erforderlich, wenn im Ergebnis eine einheitliche Beurteilung als Organschaft erfolgen soll.
Mögliche Steuerbarkeit von Innenumsätzen: BFH, EuGH-Vorlage vom 26. Januar 2023 - V R 20/22
Rechtsfolge der umsatzsteuerlichen Organschaft ist nach deutschem Umsatzsteuerrecht, dass der Organträger und die Organgesellschaft zu einem Unternehmen zusammengefasst werden und untereinander ausgeführte Umsätze (sog. Innenumsätze) infolgedessen nicht steuerbar sind. In einem Urteil aus dem Jahr 2022 entschied der EuGH jedoch, dass auch Leistungen zwischen Organträger und Organgesellschaft der Umsatzsteuer unterliegen können. Nun hat der BFH erneut im Rahmen eines Vorlageverfahrens folgende Rechtsfragen zum Thema Steuerbarkeit von Umsätzen innerhalb einer Organschaft gestellt:
- Führt die Zusammenfassung mehrerer Personen zu einem Steuerpflichtigen dazu, dass entgeltliche Leistungen zwischen diesen Personen nicht dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer unterliegen?
- Unterliegen entgeltliche Leistungen zwischen diesen Personen jedenfalls dann dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer, wenn der Leistungsempfänger nicht (oder nur teilweise) zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, da ansonsten die Gefahr von Steuerverlusten besteht?
Praxishinweis: Positionierung des EuGH noch abzuwarten
Zum aktuellen Zeitpunkt handelt es sich lediglich um eine Vorlage an den EuGH, die bislang noch anhängig ist. Sollte der EuGH jedoch dazu kommen, dass die innerhalb einer Organschaft ausgeführten Umsätze (teilweise) der Umsatzsteuer unterliegen, könnte dies insbesondere für nicht oder nur teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmen schwerwiegende umsatzsteuerliche Folgen nach sich ziehen. Allerdings bestehen auch gewichtige Argumente gegen das Vorliegen von steuerbaren Umsätzen innerhalb einer Organschaft. Es bleibt daher zunächst abzuwarten, wie sich der EuGH positionieren wird. Nichtsdestotrotz führen die dem EuGH vorgelegten Fragen gegenwärtig zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit.
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