Lohnt sich ein Zinsantrag bei Rechtsbehelfen gegen Steuerbescheide der Hauptzollämter?

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Erstattungszinsen bei unionsrechtswidrig erhobenen Steuern - eine Bestandsaufnahme

Die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen einen belastenden Steuerbescheid des Hauptzollamtes hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. In der Folge ist die festgesetzte Steuer regelmäßig unverzüglich zu entrichten. Sollte sich der Steuerbescheid dann als rechtwidrig erweisen, werden die vereinnahmten Abgaben zwar wieder ausgekehrt. Ein Zinsanspruch für die während des Rechtsbehelfsverfahrens nicht zur Verfügung stehenden Mittel wurde in der Vergangenheit jedoch nicht zugestanden. Hierzu hatte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) bereits am 18. Januar 2017 mit Urteil in der Rechtssache C-365/15 („Wortmann-Entscheidung") festgestellt, dass dies grundsätzlich unzulässig ist. Einem Wirtschaftsbeteiligten steht ein unionsrechtlich garantierter Zinsanspruch in solchen Fällen sogar dann zu, wenn keine entsprechende Anspruchsgrundlage durch den Gesetzgeber kodifiziert worden ist. Die Umsetzung dieses Urteils beschäftigt insbesondere die Zollverwaltung nun seit mehreren Jahren. Dieser Beitrag soll die jüngsten Entwicklungen darstellen und aufzeigen, unter welchen Voraussetzungen ein Zinsanspruch erfolgversprechend geltend gemacht werden kann.

Ausgangsverfahren und Entscheidung

Im Ausgangsverfahren wurden Antidumpingzölle gegen einen Importeur von Schuhen festgesetzt. Die zugrunde liegende Antidumpingverordnung wurde anschließend teilweise für nichtig erklärt. Daraufhin wurden die festgesetzten Antidumpingzölle wieder ausgekehrt. Im Nachgang beantragte der Importeur bei seinem Hauptzollamt Erstattungszinsen für entgangene Zinsgewinne ab dem Zeitpunkt der Zahlung der rechtswidrig festgesetzten Antidumpingzölle. Nach Ablehnung durch die Behörde machte der Importeur sein Begehren klageweise geltend. Das Finanzgericht erkannte, dass es für die Gewährung eines Zinsanspruchs an einer Anspruchsgrundlage mangelte. Das Gericht hatte jedoch Zweifel, ob dieses Ergebnis mit dem Unionsrecht im Einklang stand und legte diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH bestätigte die Zweifel des vorlegenden Gerichts und entschied, dass ein unionsrechtlicher Zinsanspruch dann besteht, wenn Einfuhrabgaben deshalb erstattet werden, weil diese unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben worden sind. Diesen Anspruch auf Kompensation eines entgangenen Zinsgewinns leitete der EuGH unmittelbar aus dem primären Unionsrecht her.

In einer anschließenden Entscheidung in den verbundenen Rechtssachen C-415/20, C-419/20 und C-427/20 („Gräfendorfer-Entscheidung") wurden die Wortmann-Entscheidung bestätigt und der Zinsanspruch inhaltlich weiter ausgestaltet. Das Urteil vom 28. April 2022 führte zum unionsrechtlich garantierten Zinsanspruch ergänzend aus, dass dieser nicht nur für zu Unrecht erhobene und anschließend erstattete Antidumpingzölle zu gewähren ist. Insbesondere soll ein Zinsanspruch eben nicht nur bei nichtiger Verordnung zugestanden werden, sondern auch bei sonstigen Rechtsanwendungsfehlern der Zollverwaltung und sonstigen Verstößen gegen das Unionsrecht. Darüber hinaus wurde auch festgestellt, dass eine gerichtliche Geltendmachung nicht zwingend erforderlich ist.

Ausweitung auf andere Lebenssachverhalte und Steuerarten

Der vom EuGH statuierte und bis zu diesem Zeitpunkt verfahrenstechnisch nicht geregelte „unionsrechtliche Zinsanspruch" musste seit der Wortmann-Entscheidung umgesetzt und laufend angepasst werden. Der für Zölle und andere europarechtlich harmonisierte Abgaben zuständige Verordnungsgeber hat bislang noch keinen Beitrag dazu geleistet. Es wurde inzwischen anerkannt, dass der Zinsanspruch nicht lediglich für die Erstattung von in rechtswidriger Weise festgesetzten Antidumpingzöllen gelten kann. So wurden anschließend im Rahmen von Rechtsbehelfsverfahren gegen alle Steuerarten bei den Hauptzollämtern inflationär Erstattungsanträge auf entgangene Zinsgewinne gestellt. Die Rechtsprechung muss nunmehr die EuGH-Vorgaben auslegen und auch für andere Steuerarten entscheiden, ob ein unionsrechtlich garantierter Zinsanspruch besteht und den klagenden Unternehmen zugestanden werden kann. Dabei sind die streitigen Verfahren längst nicht mehr auf Steuern im Ertragskompetenzbereich der Europäischen Union beschränkt.

Am 1. Juni 2023 veröffentlichte der Bundesfinanzhof zuletzt eine Entscheidung im Bereich der Stromsteuer und gestand einen unionsrechtlich garantierten Zinsanspruch auch in solchen Fällen zu, in denen eine zu Unrecht erhobene Stromsteuer erstattet werden muss. Das Urteil vom 15. November 2022 (Az. VII R 29/21, VII R 17/18) stellt klar, dass einer Verzinsung von erstatteter Stromsteuer nicht entgegensteht, dass es sich bei der ihr zugrunde liegenden Energiesteuerrichtlinie um einen Rechtsakt der Europäischen Union handelt, welcher erst der Umsetzung in nationales Recht bedurfte. Somit zielt die von den Gerichten in dieser Sache vorangetriebene Entscheidungspraxis darauf ab, dass zumindest unionsrechtlich harmonisierte Steuerarten grundsätzlich im Erstattungsfall zu verzinsen sind.

Gegenwärtige Entscheidungspraxis

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union versuchen derzeit in ihrer verwaltungsrechtlichen Entscheidungspraxis, den durch den EuGH verursachten Schaden so gering wie möglich zu halten, also den Erstattungsanspruch nicht ausufern zu lassen. Das Ausgangsverfahren zeichnete sich dadurch aus, dass die Antidumpingzölle nur deshalb erstattet werden mussten, weil der europäische Verordnungsgeber eine im Nachgang für teilweise nicht erklärte Verordnung erlassen hat. Da das im Ausgangsverfahren beklagte Hauptzollamt im unmittelbaren Anschluss an das Inkrafttreten der Verordnung mit der Festsetzung der Antidumpingzölle begann und die festgesetzten Abgaben an den europäischen Haushalt abführte, hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) offenkundig wenig Verständnis dafür, mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt für Zinszahlungen durch Defizite im europäischen Gesetzgebungsverfahren aufzukommen. Soweit das BMF die nachgeordneten Behörden weiterhin anweist, Zinsansprüche eher restriktiv zu bescheiden, wird die Rechtsfortentwicklung in diesem Fall weiterhin durch Einzelrechtsprechung geprägt bleiben. Dieser Zustand ist deshalb nicht zufriedenstellend, da sowohl der europäische Verordnungsgeber wie auch der nationale Gesetzgeber es bislang versäumt haben, die höchstrichterliche Rechtsprechung in geltendes Recht umzusetzen. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, welchen Anwendungsbereich der nach derzeitiger Verordnungslage geltende Artikel 116 Abs. 6 Unionszollkodex noch haben kann, da dieser weiterhin ein ausdrückliches Verbot von Erstattungszinsen vorsieht.

Auswirkungen für betroffene Wirtschaftsbeteiligte

Betroffene Unternehmen sollten belastende Verwaltungsakte stets kritisch hinterfragen und auf Rechtmäßigkeit prüfen. Bislang war ein eingelegter Rechtsbehelf darauf beschränkt, die festgesetzte Steuer erstattet zu bekommen. Die jüngste Rechtsprechung eröffnet jedoch die Möglichkeit, festgesetzte Abgaben zwischen dem Zeitraum der Entrichtung und der im Falle des Obsiegens vorgenommenen Erstattung verzinsen zu lassen. Dies sollte im Einzelfall geprüft werden wobei die Höhe der verauslagten Steuern und die Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens Ausschlag darüber geben, inwieweit ein Zinsanspruch wirtschaftlich lohnend ist. Dabei sollten nicht nur die bislang von den Gerichten entschiedenen Steuerarten in die Bewertung einfließen. Auch für andere durch die Hauptzollämter festzusetzenden Abgabenarten, wie beispielsweise Drittlandszölle, Einfuhrumsatzsteuer und harmonisierte Verbrauchsteuern, kann ein solcher Zinsantrag im Einzelfall angezeigt sein.

Fazit

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit seiner Wortmann-Entscheidung das inkonsequente Verwaltungshandeln der Zollbehörden gerügt und zugunsten der Wirtschaftsbeteiligten entschieden. Die bisherige Verwaltungspraxis der Verzinsung von Nacherhebungen bei gleichzeitiger Versagung von Erstattungszinsen für den Fall von rechtswidrigem Verwaltungshandeln war in der Vergangenheit nicht nachvollziehbar und stets kritisiert worden. Die Finanzgerichte konnten begehrte Zinsansprüche in Ermangelung einer Anspruchsgrundlage jedoch nicht zugestehen. Die Wortmann-Entscheidung und ihre Folgerechtsprechung haben nun einen unionsrechtlich garantierten Zinsanspruch statuiert, dessen Reichweite jedoch immer noch nicht abzuschätzen ist.

Der für den Wirtschaftsbeteiligten positiven Entwicklung sollte dadurch Rechnung getragen werden, dass schon in der Vorbereitung und Durchführung von Rechtsbehelfsverfahren geprüft wird, inwieweit die Beantragung von Erstattungszinsen angezeigt ist. Solange die Folgen der höchstrichterlichen Rechtsprechung nämlich nicht durch den Gesetzgeber einheitlich umgesetzt werden, sollten Zinsansprüche jedenfalls nicht deshalb verlustig werden, weil keine entsprechenden Anträge gestellt worden sind.

 

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