Die Europäische Union weitet das Maßnahmenpaket gegen Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine erneut aus. Durch Erlass des inzwischen 11. Sanktionspaketes am 23. Juni 2023 soll Russland im Angriffskrieg gegen die Ukraine weiter eingeschränkt werden. Bisherige Auswertungen der EU zeigen die Wirksamkeit der Maßnahmen, aber auch deren Schwächen. Die erneute Anpassung innerhalb dieses kurzen Zeitrahmens erhöht die Fehleranfälligkeit im Handeln der Wirtschaftsteilnehmer der Union und folglich das Risiko für Verstöße. Hier sollten Unternehmen nicht den Überblick verlieren.
Rückblick: 11. Sanktionspakete seit Beginn des Angriffskrieges erlassen
Die Europäische Union hat als Reaktion auf die destabilisierenden Handlungen Russlands in der Ukraine bereits im Vorfeld des Angriffskrieges verschiedene Maßnahmen ergriffen. Am 31. Juli 2014 wurde der Beschluss 2014/512/GASP verabschiedet, der ein Waffenembargo sowie Handelsbeschränkungen für Dual-Use-Güter und Ausrüstung im Energiebereich vorsieht. Zudem wurden Beschränkungen des Zugangs zum Kapitalmarkt der Europäischen Union beschlossen. Diese Maßnahmen wurden durch die Verordnung (EU) Nr. 833/2014 in unmittelbar geltendes Recht umgesetzt. Seit dem Beginn des Angriffskrieges am 24. Februar 2022 wurden bislang insgesamt 11. Sanktionspakete seitens der EU erlassen.
Maßnahmen zur Erweiterung bestehender Sanktionen
Die nun verabschiedeten Maßnahmen dienen in erster Linie der Erweiterung bestehender Sanktionen und der besseren Umsetzung der bereits existierenden Maßnahmen. Dazu gehören insbesondere Maßnahmen zur Verhinderung von Umgehungsgeschäften. Die Umsetzung erfolgt durch die Verordnung (EU) 2023/1214, Verordnung (EU) 2023/1215 und die Durchführungsverordnung (EU) 2023/1216.
Als große Neuerung ist die Einführung eines Instruments zur Umgehungsbekämpfung zu betrachten. Dadurch kann als letztes Mittel, beim Versagen vorgelagerter Maßnahmen, die Ausfuhr von sanktionierten Gütern und Technologien in Drittländer beschränkt werden, wenn das Umgehungsrisiko im Empfänger-Drittland als zu hoch eingestuft wird. Die Funktionsweise dieses Instruments erfolgt in mehreren Abstufungen:
Verstärkung der Zusammenarbeit
Durch diplomatische Einflussnahme soll das Drittland, welches unter einem hohen Verdacht steht, für Umgehungen genutzt zu werden, zur Kooperation bewegt werden.
Einzelmaßnahmen
Ist die erste Stufe nicht ausreichend, können Maßnahmen gegen beteiligte Unternehmen aus den betreffenden Drittländern erlassen werden. Die Umsetzung erfolgt beispielsweise durch eine Aufnahme in den Anhang I der Verordnung (EU) 269/2014, dies resultiert in der Einfrierung der Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen des betreffenden Unternehmens.
Güterbeschränkungen
Bei Erfolglosigkeit der vorangehenden Maßnahmen oder bei Vorliegen einer systematischen Umgehung können als Ultima Ratio betroffene Güter oder ganze Drittländer in den neu geschaffenen Anhang XXXIII der Verordnung (EU) 833/2014 aufgenommen werden. Dadurch werden Verkauf, Lieferung, Verbringung und Ausfuhr vollständig untersagt (Art. 12f. der Verordnung (EU) 833/2014).
Die praktische Anwendung dieser Maßnahmen ist noch offen. Der entsprechende Anhang ist vorerst noch leer. Insoweit neu ist jedoch die exterritoriale Wirkung dieser Maßnahme. Eine solche Wirkung kennt man bisher nur aus dem US-amerikanischen und chinesischen Exportkontrollrecht. Derartige Maßnahmen wurden in der Vergangenheit stets gerügt, scheinen nunmehr allerdings auch durch den europäischen Verordnungsgeber als legitimes Mittel erachtet zu werden.
Weiterhin neu sind exemplarisch folgende Handelsmaßnahmen:
- Ausweitung des Durchfuhrverbots auf bestimmte sensible Güter durch Russland mit Bestimmungsort in einem Drittland
- Ausfuhrbeschränkungen auf weitere technologische Güter, die in direktem Zusammenhang mit den Kampfhandlungen in der Ukraine stehen
- Verbot des Verkaufs von geistigem Eigentum im Zusammenhang mit sanktionierten Gütern
- Erweiterung der Liste von Organisationen, die den militärisch-industriellen Komplex Russlands bei dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine unmittelbar unterstützen. 87 neue Organisationen wurden aufgenommen, nun auch mit Sitz in weiteren Drittländern. Für die Ausfuhr gelten bei diesen Organisationen strengere Beschränkungen betreffend Güter mit doppeltem Verwendungszweck.
Weitere Sanktionen betreffen diverse Güter und Rohstoffe. Auch betroffen sind Verkehrswege über Land und See, der Energiesektor und über 100 weitere natürliche Personen und Organisationen im direkten Zusammenhang mit dem völkerrechtswidrigen Krieg und dessen Auswirkungen. Im Zuge der Verbesserung der Wirkung bereits bestehender Maßnahmen wurden umfangreiche Präzisierungen vorgenommen.
Anstehende Änderungen ab September 2023: Nachweispflichten treten in Kraft
Ab dem 30. September 2023 treten die Nachweispflichten der in diesem Sanktionspaket beschlossenen Einfuhrbeschränkungen für Eisen- und Stahlerzeugnisse in Kraft (Anhang XVII VO (EU) Nr. 833/2014 und Art. 3g Abs. 1 Buchstabe d) VO (EU) Nr. 833/2014). Es gilt sodann ein Verbot der unmittelbaren und mittelbaren Einfuhr von Eisen- und Stahlerzeugnissen in die EU, wenn sie unter der Verwendung von Eisen- und Stahlerzeugnissen russischen Ursprungs in Drittländern verarbeitet worden sind. Zum gegenteiligen Nachweis werden zum Zeitpunkt der Einfuhr und auf Anforderung der Zollbehörden entsprechende Nachweisdokumente benötigt. Dazu geeignet sind Rechnungen, Lieferscheine, Qualitätszertifikate, Langzeitlieferantenerklärungen, Kalkulations- und Fertigungsunterlagen, Zolldokumente des Ausfuhrlandes, Geschäftskorrespondenzen, Produktionsbeschreibungen, Erklärungen des Herstellers oder Ausschlussklauseln in Kaufverträgen und Mill Test Zertifikate.
Ausblick: Umgehungsmaßnahmen werden verstärkt kontrolliert
Das derzeitige Maßnahmenpaket der Europäischen Union beschränkt sich nicht nur auf Maßnahmen gegenüber der Russischen Föderation. Daneben sind auch Maßnahmen gegenüber Belarus wegen der Beteiligung an der Invasion in die Ukraine in Kraft. Zuletzt kam außerdem der Iran erneut in den Fokus wegen seiner Beteiligung an Herstellung und Lieferung von Drohnen an das russische Militär. Da nunmehr auch Umgehungsmaßnahmen verstärkt kontrolliert werden sollen, wird die Verantwortung noch weiter in die Eigenkontrolle der Unternehmen verlagert. Eine Weiterlieferung von beschränkten Gütern von Ihren Kunden an die Aggressoren sollte in jedem Fall vermieden werden. Daher sollten die intern eigenverantwortlich auferlegten „Know Your Customer-Prozesse“ (KYC-Prozesse), sowie die weiteren Compliance-Maßnahmen zur Exportkontrolle (u.a. Sanktionslisten- und Güterlistenscreening) vor dem Hintergrund der gesamtpolitischen Lage hinterfragt und gegebenenfalls angepasst werden. Da bei Verstößen gegen die außenwirtschaftsrechtlichen Vorgaben empfindliche Strafen zu erwarten sind, sollte eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung an Umgehungsmaßnahmen unbedingt verhindert werden.
Verfasst mit Sebastian Mersmann.
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