Keine „passive Entstrickung“ durch Änderung des DBA-Spanien

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Was ist unter einer passiven Entstrickung zu verstehen?

In steuerlicher Hinsicht werden in Vermögensteilen gebundene stille Reserven in der Regel erfasst und versteuert, wenn bestimmte Ereignisse eintreten, die zu einer sog. Entstrickung führen. Eine "passive Entstrickung" entsteht, wenn das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland ohne eigenes Zutun des Steuerpflichtigen ausgeschlossen oder beschränkt wird. Dies kann beispielsweise eintreten, wenn aufgrund eines neu abgeschlossenen oder geänderten Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) das uneingeschränkte deutsche Besteuerungsrecht nicht mehr gilt.

Zur Frage der Entstrickung bei Änderung eines Doppelbesteuerungsabkommens

Das Finanzgericht FG Münster hatte sich im Urteil vom 10. August 2022 (Az. 13 K 559/19 G F) mit der Frage zu befassen, ob allein die Änderung eines DBA den Entstrickungstatbestand des § 4 Abs. 1 S. 3 EStG erfüllt und folglich eine sog. passive Entstrickung auslöst. Daran anschließend stellte sich die Frage, ob der Steuerpflichtige in diesen Fällen zur zeitlichen Streckung der Versteuerung der stillen Reserven einen Ausgleichsposten i. S. des § 4g Abs. 1 EStG bilden kann.

Das FG kam zu dem Ergebnis, dass bereits dem Grunde nach die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 S. 3 EStG in der damals geltenden Fassung nicht erfüllt seien, da es an einer aktiven Handlung des Steuerpflichtigen fehle. Die Änderung bzw. Neuordnung völkerrechtlicher Verträge (DBA) könne dem Steuerpflichtigen nicht zugerechnet werden, mit der Folge, dass eine passive Entstrickung zu verneinen ist.

Sachverhalt der Entscheidung des FG Münster

An der inländischen Kommanditgesellschaft (Klägerin) waren die Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft mbH als Komplementärin und zwei natürliche Personen als Kommanditisten beteiligt. Ein Kommanditist wohnte in Deutschland und der andere in der Schweiz. Beide Kommanditisten hatten in ihrem Sonderbetriebsvermögen II eine Beteiligung von jeweils 50 % an einer spanischen grundbesitzenden Kapitalgesellschaft (S. L.). Im Oktober 2012 trat das geänderte DBA zwischen Spanien und Deutschland in Kraft, welches erstmals eine Immobiliengesellschaftsklausel enthielt. Nach dieser Regelung wurde Spanien für Veräußerungsgewinne aus Anteilen an einer Gesellschaft, deren Aktivvermögen zumindest 50 % aus in Spanien belegenen unbeweglichem Vermögen besteht, ein Besteuerungsrecht zugewiesen, Art. 13 Abs. 2 DBA-Spanien. Eine Doppelbesteuerung wird sodann durch die Anrechnungsmethode nach Art. 22 Abs. 2 b) DBA-Spanien vermieden.

Im Rahmen der Betriebsprüfung im Jahre 2017 vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass aufgrund der Änderung des DBA mit Spanien der Entstrickungstatbestand nach § 4 Abs. 1 S. 3 EStG durch den in Deutschland ansässigen Kommanditistin hinsichtlich der Anteile an der spanischen Kapitalgesellschaft auch ohne Zutun des Steuerpflichtigen erfüllt sei (passive Entstrickung). Im Detail begründete die Betriebsprüferin ihre Auffassung damit, dass das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschlands in Bezug auf den Veräußerungsgewinn der Beteiligung des in Deutschland ansässigen Kommanditisten an der spanischen Immobiliengesellschaft durch Änderung des DBA-Spanien beschränkt wurde, da mindestens 50 % (im vorliegenden Fall 58,89 %) des Aktivvermögens aus in Spanien belegenem unbeweglichen Vermögen bestehe und somit das Besteuerungsrecht nunmehr auch Spanien zustehe.

Der festgesetzte Entnahmegewinn wurde der Besteuerung unterworfen. Die Bildung eines Ausgleichsposten und die damit verbundene Steuerstundung nach § 4g EStG wurde der Klägerin mangels Zuordnung der Anteile an der S. L. zu einer Betriebsstätte in einem anderen EU-Mitgliedsstaat nicht gewährt. Der Klage der Klägerin wurde stattgegeben.

FG Münster äußert Zweifel

Das FG äußerte bereits Zweifel an der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung des § 4 Abs. 1 S. 3 EStG in Bezug auf die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschlands. Deutschland bliebe im Veräußerungsfall der Beteiligung durch die Änderung des DBA das Besteuerungsrecht grundsätzlich erhalten, es müsse nur die spanischen Steuern anrechnen (Art. 22 DBA-Spanien). Da dies jedoch erst bei der tatsächlichen Veräußerung geschehe, könne erst in Zukunft gesagt werden, ob das deutsche Besteuerungsrecht tatsächlich beschränkt werde. In diesem Zusammenhang sei es bisher noch nicht geklärt, ob der Begriff „Beschränkung“ auch die bloße Gefährdung des Besteuerungsrechts beinhalt, so das FG.

Diese Fragestellung könne jedoch weiterhin offenbleiben. Denn das FG sah bereits dem Grunde nach den Entstrickungstatbestand des § 4 Abs. 1 S. 3 EStG nicht erfüllt, da die Änderung bzw. Neuordnung völkerrechtlicher Verträge (DBA) der Klägerin nicht zugerechnet werden könne. Weiter führte das FG aus, dass aus der Gleichstellung des Ausschlusses oder der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrecht mit der Entnahme systematisch abzuleiten sei, dass der Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts durch eine aktive Handlung des Steuerpflichtigen bewirkt werden müsse. Die Gewinnbesteuerung ohne aktives Handeln des Steuerpflichtigen wäre dem Gedanken der Gewinnermittlung fremd. Zudem sei aus der Gesetzeshistorie zu entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der für das Streitjahr geltenden Fassung der Regelung nicht die passive Entstrickung, sondern vielmehr die aktive Entstrickung erfassen wollte, so das FG. Die Erfassung von Fällen der passiven Entstrickung ist erst mit der Neufassung des § 4g Abs. 1 EStG durch das ATAD-Umsetzungsgesetz vom 25. Juni 2021 Ziel der Vorschrift bzw. Gesetzesintention geworden. Bei Anwendung im Streitjahr würde es diesbezüglich zu einer europarechts- wie auch verfassungswidrigen „echten Rückwirkung“ kommen.

Praxishinweis

Das FG-Urteil ist aus Sicht der Steuerpflichtigen zu begrüßen, da in diesen Fällen die Besteuerung von stillen Reserven erst durch ein aktives Verhalten des Steuerpflichtigen begründet wird.

Eine höchstrichterliche Rechtsprechung, die Klarheit hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzung der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts schafft, wäre dennoch wünschenswert. Die Revision ist bereits beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängig (Az. I R 41/22).

Ferner sei in diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass der BFH mit Urteil vom 8. Dezember 2021 (Az. I R 30/19) entschieden hat, dass eine bloße, auch zukunftsgerichtete Gefährdung der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts ausreiche. Im Streitfall wurde die Wegzugsbesteuerung ausgelöst, indem die Anteile an einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft an eine in den USA ansässige Person verschenkt wurden. Aufgrund der Immobiliengesellschaftsklausel (Art. 13 Abs. 2b DBA USA) wurde das deutsche Besteuerungsrecht faktisch nicht beschränkt oder ausgeschlossen, da Deutschland weiterhin das Besteuerungsrecht zugewiesen wurde. Demgegenüber stünde allerdings die abstrakte Gefahr, dass das Finanzamt ungeachtet der Steuererklärungspflicht keine Kenntnis vom Verlust oder Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts erlangt und die GmbH jederzeit ihr Vermögen umschichten könne und somit ohne steuerliche Rechtsfolgen in Deutschland aus dem Auswendungsbereich der Immobilienklausel fallen würde. Ob dies auch für Fälle der passiven Entstrickung gilt, bleibt abzuwarten.

 

Gemeinsam verfasst mit Isabel Weth.

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