Nachhaltigkeitsberichterstattung als Pflicht und Chance

Expertengespräch mit Wirtschaftsprüfer Erik Dumke und ESG-Experte Andreas Schruth

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Mit dem Aufkommen erhöhter Anforderungen im Rahmen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sehen sich Unternehmen mit einer Vielzahl von neuen Herausforderungen konfrontiert. Die Ziele dieser Richtlinie, darunter die Steigerung des Umfangs und der Qualität der Nachhaltigkeitsberichterstattung, sowie die Betonung der doppelten Wesentlichkeit, setzen einen neuen Maßstab für die Offenlegung nichtfinanzieller Informationen. Dies führt zu einer erhöhten Komplexität sowohl in der Berichterstellung als auch in der Prüfung.

Die Identifikation von Stakeholderinteressen und die Integration wesentlicher Themen aus dem Katalog der 92 Themen der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) sind entscheidende Schritte für Unternehmen, um ihre Nachhaltigkeitsberichte zielgerichtet zu gestalten. Insbesondere die bevorstehende Prüfungspflicht von Nachhaltigkeitserklärungen im Rahmen des Jahres- oder Konzernabschlusses stellt Unternehmen vor zusätzliche Herausforderungen. Sie erfordert eine gründliche Darstellung nichtfinanzieller Aspekte und sieht die langfristige Gleichstellung finanzieller und nichtfinanzieller Aspekte im Rahmen des Jahres- bzw. Konzernabschlusses vor.

Im Expertengespräch beleuchten Erik Dumke und Andreas Schruth zentrale Fragestellungen. Das Gespräch verdeutlicht die weitreichenden Auswirkungen der CSRD auf Unternehmen und die Notwendigkeit, sich frühzeitig vorzubereiten. Es ist wichtig zu betonen, dass die CSRD nicht nur eine rechtliche Verpflichtung ist, sondern auch eine Chance zur Transformation bietet. Durch die CSRD werden Prozess- und Produktinnovationen angestoßen, die zu Chancen für Unternehmen führen.

Wie sind die neuen Berichtsanforderungen der CSRD und EU-Taxonomie für den Mittelstand zu bewerten? 

Andreas Schruth: Für viele mittelständische Unternehmen ist es eine neue Herausforderung, ein strukturiertes Nachhaltigkeitsberichtswesen und -management aufzubauen, besonders weil sie bisher weniger darauf fokussiert waren als kapitalmarktorientierte Unternehmen. Gerade durch begrenzte Ressourcen ist es keine einfache Aufgabe, da das Thema komplex ist und nicht allein von einer Person bearbeitet werden kann. 

Wie sind die Prüfungsnormen und die Anforderungen, die dort auf den Mittelstand zukommen, zu bewerten?

Erik Dumke: Die gesetzlich vorgesehene Prüfungspflicht soll analog zur Finanzberichterstattung sicherstellen, dass die Anforderungen der Nachhaltigkeitsberichterstattung gesetzeskonform umgesetzt werden. Um die zutreffende Umsetzung der Berichtsnormen beurteilen zu können, steht im Zuge der Prüfung eine angemessene und hinreichende Dokumentation im Fokus. Implementierung und angemessene Dokumentation der Prozesse und Strukturen stellen Herausforderungen für alle Unternehmen dar, die sich bislang nicht oder nur in ausgewähltem Umfang mit Aspekten der Nachhaltigkeitsberichterstattung befasst haben. Insbesondere in Unternehmensgruppen können sich komplexe Anforderungen bei der Datenerhebung und den Berichtswegen ergeben. Unternehmen, die eine normenkonforme Nachhaltigkeitsberichterstattung umsetzen, verfügen allerdings über ein Instrument, das sich als notwendiger Baustein im Marktwettbewerb um Kundinnen und Kunden, Außenfinanzierung oder in Lieferketten erweisen könnte.

Welche Möglichkeiten ergeben sich für mittelständische Unternehmen im Zusammenhang mit diesen neuen Berichtsanforderungen?

Schruth: Es ist entscheidend, dass Geschäftsführer die neue Pflicht zur Berichterstattung nicht nur als eine zusätzliche Belastung sehen. Wir empfehlen sie vielmehr als eine Gelegenheit zu begreifen, ihre Geschäftsprozesse zu überdenken und zu optimieren. In der Vergangenheit haben sich viele Unternehmen, die Nachhaltigkeitsprojekte umgesetzt haben, nicht nur den Umweltaspekten zugewandt, sondern auch erhebliche Kostenersparnisse erzielt. Beispielsweise wurden Energiedaten genauer erfasst, fehlerhafte Rechnungen aufgedeckt und ineffiziente Prozesse verbessert. Diese Optimierungen trugen nicht nur zur Nachhaltigkeitsverbesserung bei, sondern steigerten auch die Effizienz und Rentabilität des Unternehmens. 

Des Weiteren bietet sich die Möglichkeit, Finanzprozesse zu überdenken. Während einige große Unternehmen umfangreiche Strukturen und Prozesse für die Nachhaltigkeitsberichterstattung aufgebaut haben, ist dies für Mittelständler aufgrund knapper Ressourcen häufig nicht möglich. Stattdessen sollte der Fokus darauf liegen, vorhandene Systeme zu optimieren und effizienter zu gestalten. 

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die strategische Ausrichtung des Unternehmens. Die Berichterstattung über Nachhaltigkeitsmaßnahmen kann dazu genutzt werden, sich vom Wettbewerb abzuheben. Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Umwelt-, Sozial- und Governanceaspekten für Verbraucher und Geschäftspartner kann die Entwicklung zum Beispiel klimaneutraler Produkte und Dienstleistungen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil bieten. 

Unternehmen sollten daher frühzeitig in die Entwicklung und Umsetzung nachhaltiger Lösungen investieren, um zukunftsfähig zu bleiben und neue Geschäftsfelder zu erschließen. Letztendlich geht es darum, die Berichterstattung über Nachhaltigkeitsmaßnahmen als Chance zu begreifen, um das Unternehmen langfristig zu stärken und einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen.

Wie gestaltet sich eine praktische Prüfung im Rahmen der CSRD? Kann anhand eines konkreten Beispiels verdeutlicht werden, worauf sich Unternehmen dabei einstellen sollten?

Dumke: Die Prüfung im Rahmen der CSRD verfolgt das Ziel, ein Prüfungsurteil mit begrenzter Sicherheit abzugeben. Dies umfasst eine kritische Einschätzung auf der Grundlage von Befragungen der Prozessverantwortlichen sowie die Durchführung von Plausibilitätschecks, die in der Prüfersprache als analytische Prüfungshandlungen bezeichnet werden. Diese Handlungen dienen dazu, die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der präsentierten Informationen zu bewerten. 

Nehmen wir das Beispiel des CO2-Fußabdrucks: Die Prüfung würde damit beginnen, ein Verständnis für den Kontext des Unternehmens zu entwickeln, einschließlich seiner Marktstellung, Strategien und Managementansätze. Anschließend würde der Prüfer die Methoden zur Ermittlung relevanter Kennzahlen, die zur Berechnung des CO2-Fußabdrucks führen, untersuchen. Dies beinhaltet Gespräche mit Verantwortlichen, um den Prozess der Datensammlung zu verstehen und mögliche Risiken zu identifizieren. 

Darauf aufbauend würden analytische Prüfungshandlungen durchgeführt werden, wie beispielsweise Vergleiche mit Benchmark-Daten anderer Unternehmen in derselben Branche. Dies dient dazu, die Plausibilität der ermittelten Werte zu beurteilen und etwaige Abweichungen zu identifizieren. 

Des Weiteren würde der Prüfer sicherstellen wollen, dass alle relevanten Aktivitäten des Unternehmens in die Emissionsberechnungen einbezogen werden und keine Standorte oder Prozesse unbeachtet bleiben. Dies könnte durch Besichtigungen von Produktionsstandorten und Gespräche mit Betriebsleitern erfolgen. 

Schließlich würden die in der zentralen Datei verwendeten Umrechnungs- und Emissionsfaktoren überprüft und mit öffentlich verfügbaren Datenbanken abgeglichen werden, um die Genauigkeit des CO2-Fußabdrucks sicherzustellen. 

Das Ziel ist es, ein Prüfungsurteil darüber abzugeben, ob die Berichterstattung den geltenden Normen entspricht und ob die ermittelten Nachhaltigkeitsmaßnahmen des Unternehmens zuverlässig sind.

Wie könnte die Herangehensweise mittelständischer Unternehmen an das Thema CSRD aussehen? Welcher erste Schritt könnte unternommen werden, um sich der Umsetzung anzunähern?

Schruth: Ich empfehle, dass mittelständische Unternehmen sich zuerst fragen sollten, warum sie sich mit dem Thema befassen und welche Chancen sie nutzen möchten. Sie sollten ihre Ambitionslevel definieren und einen klaren Zeitplan für die Umsetzung festlegen, einschließlich einer Risikoabschätzung. Es ist wichtig, frühzeitig zu handeln, da Nachhaltigkeitsberichterstattung Teil der internen Prozesse und Deadlines werden wird. Wesentlichkeitsanalysen können bereits im Vorfeld genutzt werden, um Prozesse zu optimieren und im ersten Jahr der gesetzten Wirksamkeit Anpassungen vorzunehmen. Ein strukturierter Projektplan mit regelmäßiger Berichterstattung über den Fortschritt ist entscheidend, um das Thema erfolgreich in die Organisation zu integrieren.

Wichtig an dieser Stelle ist zu erwähnen, dass die sogenannte Wesentlichkeitsanalyse vor dem ersten Berichtsjahr durchgeführt wird, da nur so vollständige Nachhaltigkeitsdaten für wesentliche Themen für das betreffende Geschäftsjahr eingesammelt werden können. Das bedeutet für Unternehmen, die erstmalig für 2025 ESG-Daten berichten müssen, die Wesentlichkeitsanalyse im Jahr 2024 abgeschlossen sein muss, um wesentliche Nachhaltigkeitsdaten auch ab dem 1.1.2025 erheben zu können.

Dumke: Der Begriff Projektplan ist in der Umsetzung der CSRD-Anforderungen sehr wichtig. Bei vielen mittelständisch geprägten Unternehmen müssen in relativ kurzer Zeit personelle Ressourcen aufgebaut sowie Prozesse und Datenerhebungsstrukturen implementiert werden, um eine nach Umfang und Inhalt hinreichende CSRD-Berichterstattung ab 2025 zu ermöglichen. Mit Blick auf den Faktor Zeit empfiehlt es sich daher, dieses Projekt rechtzeitig – man muss wohl sagen: also jetzt – zu beginnen. Insbesondere wenn zur Umsetzung des Projekts die Einbindung externer Berater erforderlich ist, sollte rechtzeitig gehandelt werden, da auch deren Auslastung stetig wächst. Im Rahmen des Implementierungsprojekts empfiehlt es sich, projektbegleitend sicherzustellen, dass die eingerichteten Prozesse und deren Dokumentation bei der vorgeschriebenen späteren Prüfung keinen Anlass zu wesentlichen Beanstandungen geben. Auch wenn es derzeit noch viele Unschärfen im Hinblick auf die Prüfungsanforderungen gibt, lässt sich so zeitnah eine erste Einschätzung der implementierten Prozesse vornehmen.

Was kann ein Mittelständler falsch machen bezüglich der Umsetzung der CSRD?

Dumke: Zum einen sollte der Zeitfaktor nicht unterschätzt werden. Für nicht wenige Unternehmen stellen die CSRD-Anforderungen ein innovatives Projekt dar, in dem sowohl personelle Ressourcen als auch neue Prozesse und Datenerhebungsstrukturen geschaffen werden, die mit Beginn des Geschäftsjahres 2025 funktionsfähig sein müssen. Dafür bleibt bei denen, die noch nicht begonnen haben, nur noch etwas mehr als ein halbes Jahr Zeit. Zum anderen ist aus der Prüferperspektive zu betonen, dass eine schlüssige und nachvollziehbare Dokumentation der Prozesse und der Datengenerierung, von der Wesentlichkeitsanalyse bis zur Erhebung quantitativer und qualitativer Daten, essentiell für die Durchführung und das Ergebnis der Prüfung ist. 

Was sind die Konsequenzen für Unternehmen, die ihrer Pflicht zur Erstellung eines CSRD-konformen Nachhaltigkeitsberichts nicht oder fehlerhaft nachkommen?

Schruth: Unternehmen müssen sich auf Reputationsverluste sowie handelsrechtliche Konsequenzen einstellen. Bei nicht erfolgter oder falscher Offenlegung von CSRD-Informationen kann es zu Ordnungswidrigkeiten und Geldbußen kommen.  Nachhaltigkeitsberichte sind entscheidend für das Vertrauen der Stakeholder und können Auswirkungen auf die "license to operate" haben. 

Unternehmen müssen sich ständig über aktuelle Änderungen informieren, da Nachhaltigkeitsberichte Teil des Lageberichts sind und Verstöße ähnlich wie bei der Finanzberichterstattung behandelt werden. Eine Modifizierung oder Versagung des offenzulegenden Prüfungsvermerks für den Nachhaltigkeitsbericht kann gravierende Folgen für die Unternehmensreputation, zum Beispiel im Rahmen der Unternehmensfinanzierung oder der Lieferantenbewertung anhand von Nachhaltigkeitskriterien, haben.

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