Das Wichtigste auf einen Blick
- Die Deutsche Rentenversicherung geht davon aus, dass regelmäßig dann keine selbstständige Tätigkeit vorliegt, wenn jemand im Rahmen agiler Arbeitsmethoden oder projektbezogen tätig wird.
- Aus dieser Einschätzung ergeben sich gerade beim Einsatz von IT-Freelancern erhöhte sozialversicherungsrechtliche Risiken für Unternehmen.
- Zur Minimierung des Risikos einer Scheinselbstständigkeit sollten beider Vertragsgestaltung und der praktischen Handhabung daher besondere Maßnahmen ergriffen werden, um dieser Vermutung entgegenzutreten.
Der Einsatz von Freelancern als externe Dienstleister ist in der Praxis oft unumgänglich, allerdings droht dabei stets das Risiko einer Scheinselbstständigkeit. Im IT-Bereich bestehen hier besondere Anforderungen. So hat sich in der jüngeren Rechtsprechung des BSG herauskristallisiert, dass die Integration in eine fremde Betriebsorganisation ein überragendes Kriterium ist, das einer selbstständigen Tätigkeit entgegenstehen kann, insbesondere bei arbeitsteiliger Zusammenarbeit. Insofern geht die Deutsche Rentenversicherung davon aus, dass regelmäßig dann keine selbstständige Tätigkeit vorliegt, wenn jemand im Rahmen agiler Arbeitsmethoden oder projektbezogen tätig wird.
Diese pauschale Annahme deckt sich jedoch nicht mit der sozialgerichtlichen Rechtsprechung, die sehr wohl zeigt, dass auch im Rahmen von agilen Arbeitsmethoden ein Einsatz selbstständiger Freelancer möglich ist. Dennoch sind gerade bei agilen Arbeitsmethoden besondere Maßnahmen beim Einsatz von agilen Arbeitsmethoden und Kollaborationssoftware zu ergreifen, um das Risiko einer Selbstständigkeit und die damit verbundenen negativen Konsequenzen, wie etwa die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, zu vermeiden.
Was bei der Vertragsgestaltung mit Freelancern wichtig ist
Im Rahmen der Vertragsgestaltung ist zunächst der passende Vertragstyp zu ermitteln. In Betracht kommen neben
- Dienstleistungsverträgen auch etwa
- Werkverträge oder
- Arbeitnehmerüberlassungsverträge sowie auch
- (befristete) Arbeitsverträge.
Bei der Auswahl des optimalen Vertragstypus ist zunächst das vom Auftraggeber gewünschte Ergebnis sowie die gewünschte Art und Weise der Zusammenarbeit zu ermitteln unter gleichzeitiger Bewertung des etwaigen Risikos einer Scheinselbstständigkeit. Ferner sind auch bereits zu diesem Zeitpunkt die organisatorischen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Sind die vorgesehenen vertraglichen Regelungen in der Praxis nur schwerlich umsetzbar, kann dies die geplante Zusammenarbeit entwerten und im Zweifel die vorgesehen Risikominimierung konterkarieren, insbesondere wenn die vertraglich vereinbarten Regelungen am Ende ignoriert werden.
Besonderheiten bei der Zusammenarbeit mit Freelancern im IT-Bereich
Im Rahmen von IT-Projekten lässt sich die geschuldete Leistung des Freelancers häufig nur grob umschreiben, schließlich ändern sich im Laufe des Projektes die Anforderungen an das Produkt, so dass hier regelmäßig Dienstleistungsverträge und nicht Werkverträge zum Einsatz kommen. Dienstleistungsverträge bieten jedoch regelmäßig das größte Scheinselbstständigkeitsrisiko, so dass hier ein besonderes Augenmerk auf organisatorische Maßnahmen zu legen ist.
Bei der Gestaltung von Dienstleistungsverträgen sollten daher folgende Aspekte berücksichtigt werden:
- Die zu erbringenden Leistungen sind eindeutig und trennscharf zu definieren. Freelancer müssen ihre Pflichten kennen, ohne dass es weiterer Erläuterung bedarf, was konkret zu tun ist.
- Typische Arbeitnehmerpflichten oder sonstige Formulierungen, die auf eine Arbeitnehmereigenschaft hindeuten, sind zu vermeiden.
- Bei Rahmenverträgen darf keine Pflicht zur Annahme von einzelnen Arbeitsaufträgen bestehen.
- Freelancer sollten gerade bei längerfristigen Einsätzen rechtlich und zeitlich die Möglichkeit haben, für andere Auftraggeber tätig zu werden.
- Die Möglichkeit des Einsatzes von Subunternehmern sollte ihnen eröffnet sein, soweit nicht dringende Gründe entgegenstehen.
- Idealerweise werden auch die konkrete Art und Weise der Zusammenarbeit und deren Hintergründe vertraglich festgehalten. Dann ist klar geregelt, welche Rechte und Pflichten die Freelancer aus welchem Grund übernommen haben. Dies minimiert das Risiko, dass es im Rahmen einer sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfung zu einer ggf. fehlerhaften Beurteilung der Freelancer auf Grund mangelnder Informationen kommt.
Best-Practices zur Minimierung des Scheinselbstständigkeitsrisikos
Freelancer sind keine internen Arbeitnehmer und dürfen nicht als solche behandelt werden. Verwischen die Grenzen spricht dies für eine sozialversicherungspflichtige abhängige Beschäftigung. Freelancer sind zunächst selbst dafür verantwortlich, sich die für die Auftragserfüllung notwendigen Ressourcen zu beschaffen. Freelancer haben auch nicht die gleichen Rechte und Pflichten wie interne Arbeitnehmer.
Dies bedeutet grundsätzlich, dass
- Freelancern regelmäßig kein physischer Arbeitsplatz im Betrieb und keine Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt werden sollten,
- sie nicht an Veranstaltungen für interne Arbeitnehmer teilnehmen sollten und
- ihnen auch keine typische Arbeitnehmerpflichten (Zeiterfassung, Krankmeldung etc.) aufzuerlegen sind.
Gerade im Bereich agiler Arbeitsmethoden haben sich daher folgende Best-Practices zur Minimierung des Scheinselbstständigkeitsrisiko entwickelt:
- Single-point of contact: Sämtliche auftragsbezogene Kommunikation erfolgt über im Voraus vertraglich festgelegte Ansprechpartner, Formate oder Gremien. Damit soll eine Integration in die Betriebsabläufe vermieden werden. Umgehungen oder unternehmensübergreifende Auftragserteilungen sind hingegen tunlichst zu vermeiden. Auch der direkte Kontakt zwischen den Freelancern und den Kunden des Auftraggebers ist zu vermeiden. Die Kommunikation sollte stets den vertraglichen Beziehungen folgen.
- Pull-Methode: Arbeitsaufträge und/Tickets werden einzeln oder als Pakete ggf. unter Vorgabe eines Bearbeitungszeitraum (z.B. im Rahmen der festgelegten Sprints) zur Verfügung gestellt. Die Freelancer entscheiden dann selbst, welche Pakete sie bearbeiten. Weisungen zur Art und Weise der Erledigung dürfen jedoch im weiteren Verlauf nicht ergehen. Auch sollten die von den Freelancern bearbeiten Pakete gesondert von den übrigen Ergebnissen zur Verfügung gestellt werden und von einem Dritten nach Testung und Freigabe in etwaige weitere Bestandteile integriert werden. Auch anonyme Ticketsystem sind geeignet, das Risiko einer Scheinselbstständigkeit zu verringern, solange die Freelancer selbst entscheiden, welches Ticket sie bearbeiten.
- Separation: Externe Freelancer und interne Mitarbeiter sollten nach Möglichkeit durch sichtbare und nachvollziehbare räumliche, organisatorische und/oder technische Maßnahmen getrennt werden. Dies gilt sowohl bei einer etwaigen Anwesenheit von Freelancern im Betrieb als auch bei digitalen Zusammenarbeitsformen.
Die Deutsche Rentenversicherung geht bei agilen oder projektbezogenen Tätigkeiten regelmäßig von einer fehlenden Selbstständigkeit eingesetzter Freelancer aus. Dem ist durch individuell angepasste Maßnahmen in der Vertragsgestaltung und praktischen Umsetzung entgegenzutreten.
Ausnahmen von diesem Grundsatz sind im begrenzten Umfang möglich. Solche Ausnahmen müssen sich jedoch aus den Besonderheiten des Projektes ergeben und auf das Mindestmaß beschränkt sein. So kann die Teilnahme an projektbezogenen Besprechungen oder Scrum-Meetings unschädlich sein, wenn eine Abstimmung zwischen externen und internen Kräften notwendig ist, um sicherzustellen, dass die verschiedenen Arbeitsergebnisse miteinander funktionieren können. Ebenso kann der Freelancer einen Arbeitsplatz im Betrieb bzw. Arbeitsmittel (Laptop ohne Peripherie-Geräte, Firmen-E-Mail-Adresse etc.) erhalten, wenn dies etwa aus sicherheitstechnischen Gründen erforderlich ist. Allerdings ist dann darauf zu achten, dass Freelancer weiterhin eindeutig als externe Mitarbeiter etwa durch eine entsprechende E-Mail-Signatur oder Kennzeichnung des Arbeitsplatzes erkennbar sind.
Bei der Bereitstellung von Betriebsmitteln ist auch daran zu denken, eine angemessene Mietzahlung durch die Freelancer als Gegenleistung hierfür zu vereinbaren, da diese dann als deren Betriebsmittel angesehen werden.
Ein häufiger Fehler ist zudem, dass Freelancer zu internen Mitarbeiterveranstaltungen oder Teamevents eingeladen werden. Dies sollte unterbleiben, um den Eindruck einer Eingliederung zu vermeiden. Ebenso sollten Freelancer keinen Zugriff bei Kollaborationssoftwarelösungen wie Teams oder Slack auf Kanäle erhalten, die dem internen Austausch dienen. Diese Fehler sind zwar menschlich nachvollziehbar, erhöhen jedoch das Risiko einer Scheinselbstständigkeit enorm.
Auswahl des Freelancers
Aus sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht sollte zudem bei der Auswahl von Freelancern darauf geachtet werden, dass diese werbend am Markt auftreten, also ihre Leistungen aktiv, z.B. mittels einer Website oder Annoncen, anbieten und eine Firma betreiben. Auch bereits vorhandene weitere Auftraggeber können hilfreich sein. Jedoch ist dieses Kriterium nach der jüngeren Rechtsprechung nur noch von untergeordneter Bedeutung.
Einsatz von Freelancern erfordert individuelle Vorgehensweise
Im Ergebnis verbietet sich beim Einsatz von Freelancern gerade im IT-Bereich eine schematische Vorgehensweise. Vielmehr sind bei der Ausgestaltung solcher Einsätze stets die konkreten betrieblichen Gegebenheiten und die Anforderungen des konkreten Projekts unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung in der Rechtsprechung und Betriebsprüfungspraxis zu beachten. Ebenso ist hier ein ganzheitlicher Ansatz unerlässlich, da das Risiko einer Scheinselbstständigkeit nicht beurteilt bzw. minimiert werden kann, ohne alle Aspekte und deren vielfältige Interaktionen und Bedeutungen zu bewerten.
Sprechen Sie uns gern an, wenn Sie hierzu weitere Fragen haben.
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