Sowohl das FG München als auch der BFH haben ernstliche Zweifel an der Höhe der Aussetzungszinsen geäußert. Nun hat der BFH dem Bundesverfassungsgericht die Frage, ob diese verfassungskonform sind, zur Entscheidung vorgelegt.
Hintergrund: Die Entstehung und Höhe von Aussetzungszinsen nach §§ 237, 238 AO
Soweit für einen geschuldeten Betrag die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, werden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis verzinst. Die Verzinsung erfolgt, soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen
- einen Steuerbescheid,
- eine Steueranmeldung,
- einen Verwaltungsakt, der einen Steuervergütungsbescheid aufhebt oder ändert,
- eine Einspruchsentscheidung über einen dieser Verwaltungsakte endgültig keinen Erfolg hat.
Dabei werden die Aussetzungszinsen vom Tag des Eingangs des außergerichtlichen Rechtsbehelfs bei der Behörde, deren Verwaltungsakt angefochten wird, oder vom Tag der Rechtshängigkeit bei Gericht bis zum Tag, an dem die Aussetzung der Vollziehung endet, erhoben. Die Zinsen betragen 0,5 %% für jeden Monat.
Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen nach § 233a AO
Abweichend hiervon betragen die Zinsen für Steuernachforderungen und Steuererstattungen seit dem 1. Januar 2019 0,15 % für jeden Monat, das heißt 1,8 % für jedes Jahr. Hier erfolgte eine Anpassung, nachdem das Bundesverfassungsgericht die bisherige Höhe der Zinsen i. H. v. ebenfalls 0,5 % pro Monat bzw. 6,0 % p. a. als verfassungswidrig ansah. Da das Gericht jedoch lediglich über die Höhe der Zinsen für Steuernachforderungen und -erstattungen zu entscheiden hatte, nahm der Gesetzgeber hier lediglich eine punktuelle Anpassung vor. Eine Änderung erfolgte ausschließlich für die Verzinsung von Steuernachforderungen und -erstattungen Die weiteren Zinssätze blieben dagegen unverändert.
FG München begründet die verfassungsrechtlichen Zweifel umfassend und nimmt Verzinsung nach § 238 Abs. 1a AO vor
Das FG München hat mit Beschluss vom 24. Juni 2024 die Aussetzungszinsen für Verzinsungszeiträume ab 2019 von der Vollziehung ausgesetzt. Denn das Gericht hat ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Verzugszinsen, die unverändert 0,5 % für jeden Monat der Aussetzung betragen.
Im Streitfall verzinste das zuständige Finanzamt die ausgesetzte Steuerschuld entsprechend der derzeit geltenden Rechtslage mit einem Zinssatz von 0,5 % pro Monat. Dagegen bestehen jedoch nach Auffassung des FG Münchens für den Zeitraum ab Januar 2019 ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel. Nach Auffassung des FG Münchens konnte daher eine Verzinsung für den Zeitraum Januar 2019 bis April 2023 lediglich mit einem Zinssatz von 0,15 % je Monat erfolgen. Die Beschwerde gegen diesen Beschluss wurde nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.
Die deutliche Positionierung der Finanzgerichte ist aus Sicht der Steuerpflichtigen zu begrüßen, weil sie zu niedrigen Zinsen in den Fällen der Aussetzung der Vollziehung führen dürfte.
Zweifel des BFH an der Verfassungsmäßigkeit der Aussetzungszinsen und Vorlage der Frage ans BVerfG
Der BFH teilt mit seinem Beschluss vom 8. Mai 2024 (VIII R 9/23) die verfassungsrechtlichen Zweifel hinsichtlich der Höhe der Aussetzungszinsen von 0,5 % pro Monat – jedenfalls für den Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum 15. April 2021. Denn hier besteht eine Ungleichbehandlung zwischen den Steuerpflichtigen, welche die Möglichkeit der Aussetzung der Vollziehung in Anspruch nehmen, und den Steuerpflichtigen, die diese nicht in Anspruch nehmen, sondern den geschuldeten Steuerbetrag bereits bei Fälligkeit entrichten. Im verfassungsrechtlichen Sinne ist die Höhe der Zinsen für den Zeitraum nach Januar 2019 jedoch irrelevant, um diesen Liquiditätsvorteil abzuschöpfen oder unnötige Prozesse zu verhindern. Grund dafür ist die bis 2022 andauernde Niedrigzinsphase. Zudem sei die unterschiedliche Verzinsung von Nachzahlungen und Erstattungen von Steuerforderungen und der Aussetzung solcher verfassungsrechtlich nicht geboten.
Positionierung der Finanzgerichte aus Sicht der Steuerpflichtigen zu begrüßen
Diese deutliche Positionierung der Finanzgerichte ist aus Sicht der Steuerpflichtigen zu begrüßen, weil sie zu niedrigen Zinsen in den Fällen der Aussetzung der Vollziehung führen dürfte. Jedoch bedarf es dazu einer Entscheidung des BVerfG und/oder einer (hoffentlich früheren) Reaktion des Gesetzgebers. Zu beachten bleibt, dass die verfassungsrechtlichen Zweifel des FG München für den Zeitraum Januar 2019 bis April 2023 bestehen, der BFH hier nur eine Entscheidung bis zum 15. April 2021 eingeholt und auch in der Begründung darauf hingewiesen hat, dass die Niedrigzinsphase in 2022 endet. Aus verfahrensrechtlicher Sicht wird darauf zu achten sein, ob die Aussetzungszinsen nun insgesamt oder nur für Zeiträume bis zum 15. April 2021 offengehalten werden.
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