Das Wichtigste auf einen Blick
- Nach einer neuen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sind gekündigte und für die Dauer der Kündigungsfrist freigestellte Arbeitnehmer in der Regel nicht verpflichtet, während der laufenden Kündigungsfrist eine anderweitige Beschäftigung aufzunehmen, um Arbeitgeber finanziell zu entlasten.
- Aufgrund der bisher nur vorliegenden Pressemitteilung bleibt offen, ob gekündigte Arbeitnehmer verpflichtet sind, bereits während der laufenden Kündigungsfrist Bewerbungsbemühungen für die Zeit nach dem Ablauf der Kündigungsfrist zu ergreifen.
- Arbeitgeber sollten im Falle eines Kündigungsschutzverfahrens weiterhin von der Möglichkeit Gebrauch machen, gekündigte Arbeitnehmer auf geeignete freie Stellen hinzuweisen, um die Chance zu erhöhen, sich später erfolgreich auf ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs berufen zu können.
In den letzten Jahren ist es im Hinblick auf den bei Kündigungsschutzverfahren häufig zu beobachtenden Abfindungspoker zu einer für die Arbeitgeberseite erfreulichen Verschiebung der Kräfteverhältnisse gekommen. Konnten Arbeitnehmer früher nahezu sicher davon ausgehen, dass ihnen im Falle eines Obsiegens Annahmeverzugslohn zu zahlen sein wird, ist diese Gewissheit in letzter Zeit ins Wanken geraten. Die Arbeitsgerichte stellen nunmehr höhere Anforderungen an gekündigte Arbeitnehmer, sich bereits während des noch laufenden Kündigungsschutzverfahrens um eine anderweitige (Zwischen-)Beschäftigung zu bemühen.
Mit einer neuen Entscheidung des BAG wurde nun allerdings eine zeitliche Grenze gesetzt, in der sich Arbeitgeber regelmäßig nicht auf das Vorliegen eines böswilligen Unterlassens anderweitigen Erwerbs berufen können. Hierzu im Einzelnen:
Besonderheiten des deutschen Kündigungsschutzes
Das deutsche Kündigungsschutzkonzept stellt im internationalen Vergleich eine Besonderheit dar. Anders als in vielen anderen Jurisdiktionen, in denen ein Arbeitsverhältnis im Falle einer unwirksamen Kündigung durch das Gericht gegen Zahlung einer Abfindung beendet werden kann, ist diese Möglichkeit im deutschen Kündigungsschutzgesetz grundsätzlich nicht vorgesehen.
Vielmehr gilt mit wenigen Ausnahmen das Alles-oder-Nichts-Prinzip: Ist die Kündigung unwirksam, ist das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Zusätzlich trägt die Arbeitgeberseite das Annahmeverzugslohnrisiko: Wird die Unwirksamkeit der Kündigung festgesellt, haben Arbeitgeber den während des Kündigungsschutzverfahrens nicht gezahlten Lohn nach den Grundsätzen des Annahmeverzugs nachzuzahlen. In Verbindung mit den von den Arbeitsgerichten zulasten der Arbeitgeberseite aufgestellten hohen Hürden bezüglich der Darlegung eines ausreichenden Kündigungsgrundes sind Kündigungsschutzverfahren für die Arbeitgeberseite daher in der Regel mit einem hohen wirtschaftlichen Risiko verbunden. Die Arbeitnehmerseite macht sich diese Umstände regelmäßig zu Nutze und konfrontiert die Arbeitgeberseite mit entsprechenden Abfindungsforderungen.
Rechtsprechungswandel zugunsten der Arbeitgeber
Daher war es für die Arbeitgeber eine gute Nachricht, dass die Arbeitsgerichte, eingeleitet durch eine Entscheidung des BAG vom 27. Mai 2020 (Az. 5 AZR 387/19), es erleichterten, die Zahlung von Annahmeverzugslohn zu verweigern, wenn sich gekündigte Arbeitnehmer nach dem Ausspruch der Kündigung nicht oder nicht ernsthaft um eine anderweitige (Zwischen-)Beschäftigung bemüht hatten (mehr Informationen in unserem Beitrag Annahmeverzug im Kündigungsschutzprozess – neue Spielregeln).
Diese Entscheidung war der Startschuss zu einer Reihe weiterer Gerichtsentscheidungen, in denen die Pflichten gekündigter Arbeitnehmer bezüglich der zu ergreifenden Bewerbungsbemühungen konkretisiert wurden. Zu erwähnen sei an dieser Stelle nur die Pflicht zur Arbeitsuchendmeldung sowie die Pflicht, sich auf von der Agentur für Arbeit und von der Arbeitgeberseite (!) vorgeschlagene Stellen ernsthaft zu bewerben und der Arbeitgeberseite über die eigenen Bewerbungsbemühungen Auskunft zu erteilen.
Angesichts des branchenübergreifenden Fachkräftemangels und der damit häufig guten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt verschob sich in vielen Fällen die Verhandlungsmacht im Abfindungspoker zu Lasten der Arbeitnehmerseite. Arbeitnehmer müssen nun damit rechnen, dass Arbeitgeber die Zahlung von Annahmeverzugslohn erfolgreich verweigern können.
Neue Grenzziehung durch das Bundesarbeitsgericht
In der Folge gingen einige Arbeitgeber dazu über, gekündigte und für die Dauer der Kündigungsfrist freigestellte Arbeitnehmer schon während der laufenden Kündigungsfrist aufzufordern, sich auf freie geeignete Stellen zu bewerben und eine neue Beschäftigung aufzunehmen. Häufig wird diese Aufforderung mit der Übersendung von offenen Stellenangeboten kombiniert, um den Druck zu erhöhen. Kamen die Arbeitnehmer der Aufforderung sich zu bewerben nicht oder aus Sicht der Arbeitgeberseite nicht ausreichend nach, verweigerten die Arbeitgeber später die Zahlung von Annahmeverzugslohn mit der Begründung, dass es die Arbeitnehmer böswillig unterlassen hätten, ihre Arbeitskraft anderweitig zu verwerten.
Dieser Strategie hat das BAG mit seiner Entscheidung vom 12. Februar 2025 (Az. 5 AZR 127/24) eine Absage erteilt. Der Entscheidung lag das vorbeschriebene Szenario zugrunde: Die Arbeitgeberseite verweigerte für Zeiten der Kündigungsfrist teilweise die Zahlung von Annahmeverzugslohn und begründete dies damit, dass es der gekündigte Arbeitnehmer böswillig unterlassen habe, sich auf die von der Arbeitgeberin vorab mitgeteilten Stellenausschreibungen zu bewerben. Nach der bisher nur als Pressemitteilung vorliegenden Entscheidung hat das BAG entschieden, dass für gekündigte und für die Dauer der Kündigungsfrist freigestellte Arbeitnehmer in der Regel keine Verpflichtung bestehe, schon vor Ablauf der Kündigungsfrist zur finanziellen Entlastung der Arbeitgeberseite ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis einzugehen und daraus Verdienst zu erzielen.
Folgen für die Praxis
Bedeutet diese Entscheidung eine Rückkehr zur früheren Rechtsprechungslinie der Arbeitsgerichte, wonach eine Berufung auf ein böswilliges Unterlassen in der Praxis faktisch ausgeschlossen war?
Das BAG hat mit seiner Entscheidung zwar eine klare Grenze aufgezeigt, nicht aber die eingeschlagene Richtung verlassen, wonach sich Arbeitnehmer jedenfalls für die Zeit nach dem Ablauf der Kündigungsfrist um eine anderweitige Beschäftigung bemühen müssen, um ihre Annahmeverzugslohnansprüche nicht zu gefährden.
Die Entscheidung bedeutet auch nicht, dass Arbeitgeber für die Dauer der Kündigungsfrist in jedem Fall zur Zahlung von Annahmeverzugslohn verpflichtet sind. Das BAG weist in seiner Pressemitteilung zurecht darauf hin, dass es Arbeitgeber ausnahmsweise unzumutbar sein kann, gekündigte Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist zu beschäftigen (z.B. Straftaten zu Lasten der Arbeitgeberseite, schwerwiegende Wettbewerbsverstöße, erhebliche Betriebsstörungen). Dabei wird man unterscheiden müssen, ob „nur“ keine Pflicht zur Beschäftigung besteht oder sogar der Anspruch auf Lohnzahlung entfällt. Im letzteren Fall kommt es auf die Frage, ob eine anderweitige Verdienstmöglichkeit bestand, nicht mehr an, weil die Arbeitgeberseite ohnehin keinen Lohn zu zahlen hat. Der Pressemitteilung des BAG lässt sich nicht entnehmen, ob das Gericht bei seiner Entscheidung nur diese Fälle im Blick hatte oder ob auch in den Fällen, in denen nur der Beschäftigungsanspruch ausnahmsweise suspendiert ist, bereits während der laufenden Kündigungsfrist eine Pflicht zur Aufnahme einer anderweitigen Beschäftigung bestehen kann. Insofern bleibt abzuwarten, ob sich aus den noch nicht veröffentlichten Urteilsgründen weitere Hinweise entnehmen lassen.
Gleiches gilt für die Frage, ob gekündigte Arbeitnehmer bereits während der laufenden Kündigungsfrist Bewerbungsbemühungen für die Zeit nach dem Ablauf der Kündigungsfrist ergreifen müssen. In der Pressemitteilung wird nur die Pflicht zur Aufnahme einer (Zwischen-) Beschäftigung während der Kündigungsfrist verneint. Vorläufig dürfte es sich für Arbeitgeber daher weiterhin lohnen, bereits während der Kündigungsfrist Stellenangebote an gekündigte Arbeitnehmer mit der Aufforderung zu übersenden, sich auf diese Stellen für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist zu bewerben.
Gern unterstützen wir Sie bei der Umsetzung von Personalmaßnahmen und beraten Sie vor und nach dem Ausspruch von Kündigungen. Sprechen Sie uns gern an.
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