BGH: Coronabedingte Betriebsschließungen führen nicht zu einer pauschalen Herabsetzung der Miete

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Erstmals hat sich der Bundesgerichtshof zu coronabedingten Betriebsschließungen und ihren Folgen für die vom Gewerbemieter geschuldete Miete geäußert (Urteil vom 12. Januar 2022, Az. XII ZR 8/21). Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bringt Klarheit zu den in diesem Zusammenhang kontrovers diskutierten Themen. Einer pauschalen Lösung, nämlich in Gestalt einer Herabsetzung der Miete um 50 % wegen coronabedingter Betriebsschließungen, erteilt das Gericht aber eine Absage. Vielmehr kommt es auf die konkreten Umstände des einzelnen Falls an. Für die erforderliche Abwägung nennt der Bundesgerichtshof immerhin die maßgeblichen Kriterien, an denen sich Mietvertragsparteien orientieren können.

Was war passiert

Ein Einzelhandelsgeschäft in Sachsen musste im Frühjahr 2020 aufgrund einer behördlichen Allgemeinverfügung, die grundsätzlich für alle Geschäfte in Sachsen galt, für einen Monat schließen. Die Allgemeinverfügung erfolgte in Vollzug des Infektionsschutzgesetzes aus Anlass der Corona-Pandemie. Die Mieterin verweigerte für den Zeitraum der erzwungenen Geschäftsschließung die Zahlung der Miete, die Vermieterin bestand auf die volle vereinbarte Miete.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Während die Vorinstanzen die volle Mietzahlungspflicht der Mieterin bejahten (LG Chemnitz) bzw. eine Reduktion auf 50 % für Recht erkannten (OLG Dresden), folgt der Bundesgerichtshof weder der einen noch der anderen Linie. Mit seinem Urteil schafft er Klarheit zu grundsätzlichen Fragen der Mietminderung und der Störung der Geschäftsgrundlage in Fällen dieser Art.

Der Bundesgerichtshof schließt eine Mietminderung aus. Die staatlich angeordnete Betriebsschließung stellte nämlich keinen Mangel des Mietgegenstandes dar. Die angemieteten Gewerbemietflächen konnten zwar vom Mieter nicht für den vertraglich vereinbarten Mietzweck genutzt werden. Die mit der Schließungsanordnung zusammenhängende Gebrauchsbeschränkung beruhte aber nicht unmittelbar auf der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der Mietsache, sondern knüpfte an den Geschäftsbetrieb mit erhöhtem Publikumsverkehr an. Der Vermieter ist lediglich verpflichtet, den Mietgegenstand in dem Zustand zu erhalten, der die vertraglich vorgesehene Nutzung ermöglicht. Das Risiko der objekt- und lageunabhängigen Nutzbarkeit des Mietgegenstandes trägt dagegen grundsätzlich der Mieter.

Es kommt jedoch ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage (gemäß § 313 Abs. 1 BGB) in Betracht. Der Bundesgerichtshof stellt fest, dass durch die COVID-19 Pandemie und die damit verbundenen weitreichenden Beschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens die sog. große Geschäftsgrundlage gestört ist. Unter der großen Geschäftsgrundlage versteht man die Erwartung der vertragsschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrages nicht etwa durch Revolution, Krieg, Vertreibung oder eine (Natur-)Katastrophe ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert wird. Die Geschäftsgrundlage ist dadurch schwerwiegend gestört gewesen, dass die Mieterin aufgrund der staatlichen Allgemeinverfügung ihr Geschäftslokal schließen musste. Für eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage ist allerdings dort kein Raum, wo es um Erwartungen und Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer Partei fallen sollen. Im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter trägt grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache. Erfüllt sich die Gewinnerwartung des Mieters aufgrund eines nachträglich eingetretenen Umstandes nicht, so verwirklicht sich damit ein typisches Risiko des gewerblichen Mieters. Beruht die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters jedoch auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19 Pandemie, geht dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus. Die erlittenen wirtschaftlichen Nachteile des Mieters beruhen nämlich nicht auf unternehmerischen Entscheidungen oder der enttäuschten Vorstellung, in den Mieträumen ein Geschäft betreiben zu können. In einem solchen Fall kann das Verwendungsrisiko dem Mieter nicht allein zugewiesen werden.

Eine pauschale Herabsetzung der Miete beispielsweise um die Hälfte aufgrund der Risikoverteilung auf beide Parteien kommt allerdings - entgegen der Ansicht der Berufungsinstanz - nicht in Betracht. Vielmehr ist konkret abzuwägen, ob dem Mieter ein Festhalten am unveränderten Vertrag zumutbar ist. Für diese Abwägung nennt der Bundesgerichtshof die folgenden Kriterien:

  • Finanzielle Nachteile des Mieters im Hinblick auf das konkrete Mietobjekt, insbesondere konkreter Umsatzrückgang
  • Maßnahmen, die der Mieter ergriffen hat oder hätte ergreifen können, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern
  • Staatliche Unterstützungsmaßnahmen (nicht in Form eines Darlehens) oder die Möglichkeit, solche in Anspruch zu nehmen (selbst wenn der Mieter das nicht tut)
  • Leistungen aus einer einstandspflichtigen Betriebsversicherung
  • Geltend gemachte Interessen des Vermieters

Ein Anspruch des Mieters auf Anpassung der Miete setzt nicht voraus, dass die vom Mieter darzulegenden wirtschaftlichen Auswirkungen eine drohende Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters erreicht haben. Ohne eine konkrete Darlegung der ihn betreffenden Nachteile kann der Mieter aber keine Anpassung verlangen.

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