Urlaubsverfall und Urlaubsverjährung

Erweiterte Pflichten für Arbeitgeber

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Ende Dezember 2022 hat das Bundesarbeitsgericht in drei Entscheidungen bisher ungeklärte Fragen des Urlaubsrechts beantwortet und die Aufforderungs- und Hinweispflichten für Arbeitgeber*innen erneut erweitert. Die Entscheidungen betreffen die Verjährung und den Verfall von gesetzlichen Urlaubsansprüchen und sind für die Praxis von hoher Relevanz.

Die arbeitgeberseitigen Informations- und Hinweispflichten bezüglich des Urlaubs sind gesetzlich nicht geregelt und Ergebnis einer Rechtsfortbildung durch den Europäischen Gerichtshof und das Bundesarbeitsgericht (hierzu auch unser Beitrag Verfall von Urlaubsansprüchen: Neue Informationspflichten des Arbeitgebers!).

Rechtlicher Hintergrund

Grundsätzlich muss Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Mit Ablauf des Jahres verfallen nicht genommene Urlaubsansprüche. Eine Übertragung des Urlaubs in das folgende Kalenderjahr ist nur zulässig, wenn eine Inanspruchnahme im laufenden Jahr aufgrund dringender betrieblicher oder in der Person des Arbeitnehmers liegender Gründe nicht möglich ist (§ 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG) oder wenn es im Betrieb abweichende Übertragungsregelungen gibt. Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen einer Übertragung vor, verfällt der Urlaub erst am 31. März des Folgejahres (§ 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG). Ausnahmen galten nach bisheriger Rechtsprechung bei langzeiterkrankten Arbeitnehmer*innen – deren Urlaubsanspruch verfiel erst nach 15 Monaten, also mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres.

Der Verfall des Urlaubs ist der Frage der Verjährung regelmäßig vorgelagert. Ist der Urlaubsanspruch bereits verfallen, kommt es nicht mehr auf die Verjährung an. Ansonsten verjähren die Ansprüche nach drei Jahren, beginnend mit dem Schluss des Urlaubsjahres (§§ 195, 199 BGB).

Verjährung von Urlaubsansprüchen bei hohem Arbeitsaufkommen

Im ersten vom Bundesarbeitsgericht (BAG) am 20. Dezember 2022 entschiedenen Fall (Az. 9 AZR 266/20) endete das Arbeitsverhältnis einer Buchhalterin im Jahr 2017 nach knapp 21 Jahren. Sie verlangte eine finanzielle Abgeltung von in den Jahren 2013 bis 2017 nicht gewährten 101 Urlaubstagen in Höhe von rund EUR 23.000,00. Es sei ihr aufgrund von hohem Arbeitsaufkommen nicht möglich gewesen, den Urlaub zu nehmen. Die Arbeitgeberin hatte dies zuvor teilweise bestätigt, lehnte die Urlaubsabgeltung jedoch ab und berief sich auf die Verjährung eines Teils der Urlaubsansprüche.

Da die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin nicht zur Urlaubsnahme aufgefordert und auf den drohenden Verfall der Urlaubsansprüche hingewiesen hatte, legte das BAG dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob trotz Verletzung der Hinweispflichten nach Unionsrecht eine Verjährung des Urlaubsanspruches nach nationalem Recht zulässig sei. Der EuGH (22. September 2022 - C-120/21) sah darin einen Widerspruch zu den unionsrechtlichen Vorgaben aus der Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG). Arbeitgeber*innen hätten zwar ein berechtigtes Interesse daran, dass Arbeitnehmer*innen sie nicht erst Jahre später auf Urlaubsabgeltung in Anspruch nehmen. Sie seien aber nicht schützenswert, wenn sie sich durch die Verletzung eigener Pflichten zur Information der Arbeitnehmer*innen selbst in diese Situation gebracht hätten. Die Gewährleistung von Rechtssicherheit durch die Verjährungsvorschriften trete in diesem Fall hinter dem Ziel zurück, die Gesundheit der Arbeitnehmer*innen durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme ihres Urlaubs zu schützen.

Das BAG hat diese europarechtlichen Vorgaben in seiner aktuellen Entscheidung umgesetzt. Zwar hat es bestätigt, dass der gesetzliche Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich der Verjährung unterliegt. Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginne bei einer richtlinienkonformen Auslegung jedoch nicht zwangsläufig mit dem Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem Arbeitnehmer*innen über ihren konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt worden seien und den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hätten. Da die Arbeitgeberin ihre Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten hier nicht erfüllt habe, sei die Klägerin nicht in die Lage versetzt worden, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Die Urlaubsansprüche seien deshalb weder verfallen, noch konnte die Arbeitgeberin mit Erfolg einwenden, nicht gewährter Urlaub sei während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ablauf von drei Jahren verjährt.

Es bleibt zu hoffen, dass das BAG diese Grundsätze nicht auf den Beginn der Verjährungsfrist für den Urlaubsabgeltungsanspruch erstrecken wird, in den sich der restliche Urlaubsanspruch mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses umwandelt. Anderenfalls könnte noch Jahre nach dem Ausscheiden von Arbeitnehmer*innen eine Geltendmachung von Ansprüchen drohen, ggf. auch durch Erben.

Verfall von Urlaubsansprüchen bei Arbeitsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderungsrente

Bislang verfiel Urlaub, der wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht im laufenden Jahr bzw. während des Übertragungszeitraums bis zum 31. März des Folgejahres genommen werden konnte, 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres, also mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres. Dies folgt der Prämisse des EuGH, dass abwesende Arbeitnehmer*innen nicht unbegrenzt Urlaubsansprüche ansammeln können sollen. Auch insoweit gibt es nun Änderungen durch europarechtliche Vorgaben, die das BAG in zwei weiteren Entscheidungen vom 20. Dezember 2022 (Az. 9 AZR 401/19 und 9 AZR 245/19) auf das deutsche Urlaubsrecht angewendet hat.

Die Kläger, ein Frachtfahrer und eine Krankenhausangestellte, machten jeweils Urlaubsansprüche für ein Jahr geltend, in dem sie aus gesundheitlichen Gründen arbeitsunfähig bzw. voll erwerbsgemindert waren. In beiden Fällen hatten sie vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung noch gearbeitet, so dass der Urlaub zumindest teilweise hätte genommen werden können. Die Arbeitgeber*innen hatten die Kläger weder aufgefordert, ihren Urlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen, dass und wann nicht in Anspruch genommener Urlaub verfällt.

Das BAG hat in seinen Entscheidungen zwar bestätigt, dass der Urlaubsanspruch mit Ablauf der 15-Monats-Frist verfällt, wenn Arbeitnehmer*innen seit dem Beginn des Urlaubsjahres durchgehend aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert waren, ihren Urlaub anzutreten. In diesen Fall käme es nicht darauf an, ob die Arbeitgeber*innen ihren Hinweispflichten nachgekommen seien, weil entsprechende Hinweise nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs hätten beitragen können.

Anders verhalte es sich jedoch, wenn Arbeitnehmer*innen - wie vorliegend die Kläger - im Urlaubsjahr noch teilweise gearbeitet hätten, bevor sie voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden seien. In diesem Fall trete ein Verfall der Urlaubsansprüche mit Ablauf der 15-Monats-Frist regelmäßig nur dann ein, wenn die Arbeitnehmer*innen rechtzeitig vor Eintritt ihrer Arbeitsunfähigkeit durch entsprechende Hinweise in die Lage versetzt wurden, ihren Urlaub tatsächlich zu nehmen. Der Beginn der 15-Monats-Frist werde erst durch die Erfüllung der arbeitgeberseitigen Mitwirkungsobliegenheiten ausgelöst. In den beiden zu entscheidenden Fällen sei daher der Resturlaub nicht verfallen, weil die Arbeitgeber*innen ihren Mitwirkungsobliegenheiten bis zum Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit nicht nachgekommen waren.

Fazit und Praxishinweise: Interne Prozesse überprüfen

Den europarechtlichen Vorgaben des EuGH folgend hat das BAG die Voraussetzungen für den Verfall und die Verjährung von Urlaubsansprüchen erneut zu Lasten der Arbeitgeber*innen verschärft. Zum einen verjährt der gesetzliche Urlaubsanspruch ohne dokumentierte Aufforderungen und Hinweise nicht mehr, so dass sich nicht genommener Urlaub nahezu unbegrenzt ansammeln kann. Zum anderen hängt nunmehr auch bei langzeiterkrankten Arbeitnehmer*innen der Verfall der gesetzlichen Urlaubsansprüche davon ab, dass entsprechende Aufforderungen und Hinweise erfolgt sind. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die langzeiterkrankten Arbeitnehmer*innen in dem betreffenden Urlaubsjahr vollständig krankheitsbedingt abwesend waren.

Für vertraglich gewährte Urlaubsansprüche, die über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehen, können weiterhin abweichende Regelungen vereinbart werden. Geschieht dies nicht, gelten auch insoweit die gesetzlichen Regelungen.

Die Bedeutung der den Arbeitgeber*innen in Bezug auf den Urlaub obliegenden Informations- und Hinweispflichten ist damit weiter gestiegen. Um entsprechende Risiken zu vermeiden und um keine Rückstellungen für potenziell nicht verfallenen Urlaub bilden zu müssen, sollten Arbeitgeber*innen ihre internen Prozesse überprüfen und ggf. anpassen. Dabei können sie sich an folgenden Grundsätzen orientieren:

  • Alle Arbeitnehmer*innen müssen über ihren individuellen Urlaubsanspruch konkret, klar und rechtzeitig informiert werden. Die Information muss die konkrete Anzahl der Urlaubstage beinhalten, zur rechtzeitigen Urlaubsnahme auffordern und über den anderenfalls drohenden Verfall belehren.
  • Eine Information sollte zu Beginn des Urlaubsjahres und erneut spätestens zum Ende des dritten Quartals erfolgen.
  • Da die Erfüllung der Informations- und Hinweispflichten im Streitfall nachzuweisen ist, empfiehlt sich hierfür die Schrift- bzw. Textform sowie idealerweise eine Bestätigung des Erhalts durch den oder die Arbeitnehmer*in.
  • Auch Arbeitnehmer*innen, deren Arbeitsverhältnis unterjährig neu beginnt, müssen entsprechend informiert werden, wobei hinsichtlich des Umfangs des Urlaubsanspruchs auf die gesetzlichen bzw. vertraglichen Regelungen zum Teilurlaubsanspruch hinzuweisen ist.

Gern unterstützen wir Sie bei der Ausgestaltung Ihrer Prozesse und der Formulierung der erforderlichen Hinweise. Sprechen Sie uns dazu gern an.

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