Schwellenwerte für die Errichtung eines mitbestimmten Aufsichtsrates

Neue Entwicklungen bei der Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern

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Kapitalgesellschaften, wie etwa Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern beschäftigen, sind gemäß den in Deutschland geltenden Mitbestimmungsgesetzen verpflichtet, Aufsichtsräte zu bilden, in denen neben den Vertretern der Anteilseigner auch Arbeitnehmervertreter vertreten sind. In der Praxis spielen insoweit in erster Linie das Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) und das Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) eine große Rolle.

Nach den Vorschriften des DrittelbG ist ein mitbestimmter Aufsichtsrat zu errichten, der zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern besteht, wenn eine Kapitalgesellschaft in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt. Ein paritätisch mitbestimmter Aufsichtsrat, d. h. ein Aufsichtsrat, der zur Hälfte mit Arbeitnehmervertretern besetzt ist, ist nach den Vorschriften des MitbestG bei Kapitalgesellschaften zu errichten, die in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigen.

Der Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer kommt demnach für die Frage der Pflicht zur Errichtung eines mitbestimmten Aufsichtsrates eine ganz entscheidende Rolle zu. In der Praxis bereitet es immer wieder Schwierigkeiten, den Kreis der Beschäftigten zu bestimmen, die bei der Berechnung des Schwellenwertes zu berücksichtigen sind. Dies gilt insbesondere für die in einem Unternehmen eingesetzten Leiharbeitnehmer. Zu dieser Frage ist kürzlich eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) ergangen (Beschluss vom 25. Juni 2019, AZ II ZB 21/18), die für Unternehmen erhebliche Auswirkungen haben kann, wenn deren Arbeitnehmerzahl bisher knapp unterhalb der mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwerte lagen, aber regelmäßig eine größere Anzahl von Leiharbeitnehmern eingesetzt wird.

Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei der Berechnung der mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwerte

Bereits seit der letzten Reform im Jahr 2017 ist im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) vorgesehen, dass Leiharbeitnehmer für die Schwellenwerte der Unternehmensmitbestimmung im Entleiherunternehmen zu berücksichtigen sind. Dies soll allerdings nur gelten, wenn die Einsatzdauer des Leiharbeitnehmers sechs Monate übersteigt (vgl. § 14 Abs. 2 Satz 5 und 6 AÜG). Seit der Einführung dieser Regelung war umstritten, wie diese Berechnungsvorschrift zu verstehen ist.

Die wohl überwiegende Auffassung ging davon aus, dass die Regelung arbeitnehmerbezogen auszulegen ist. Nach dieser Ansicht sollten Leiharbeitnehmer daher nur zu berücksichtigen sein, wenn die (prognostizierte) Einsatzdauer des jeweiligen Leiharbeitnehmers beim Entleiher sechs Monate übersteigt. Durch die Einführung von Rotationssystemen, die sicherstellen, dass die Einsatzdauer eines einzelnen Leiharbeitnehmers stets unterhalb der Grenze von sechs Monaten bleibt, könnte nach dieser Auffassung eine Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer vermieden werden.

Die Gegenmeinung legte die Mindesteinsatzdauer nicht arbeitnehmerbezogen, sondern arbeitsplatzbezogen aus. Nach dieser Ansicht sollte es nicht darauf ankommen, ob die Einsatzdauer des jeweiligen Leiharbeitnehmers sechs Monate übersteigt, sondern ob der Entleiher einzelne Arbeitsplätze über die Dauer von mehr als sechs Monaten hinaus mit Leiharbeitnehmern besetzt. Nach dieser Auffassung wären daher auch Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen, die persönlich zwar nicht mehr als sechs Monate beim Entleiher eingesetzt werden, aber auf Arbeitsplätzen tätig sind, die mehr als sechs Monate mit verschiedenen Leiharbeitnehmern besetzt sind.

Entscheidung des BGH für die arbeitsplatzbezogene Auslegung

Der zweite Senat des BGH schloss sich in seiner Entscheidung der letztgenannten Auffassung an und versteht die Mindesteinsatzdauer nicht arbeitnehmerbezogen, sondern arbeitsplatzbezogen. Es kommt nach Auffassung des BGH also nicht darauf an, ob die Einsatzdauer des jeweiligen Leiharbeitnehmers sechs Monate übersteigt, sondern ob das Unternehmen regelmäßig während eines Jahres Arbeitsplätze über die Dauer von mehr als sechs Monaten mit Leiharbeitnehmern besetzt.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um ein Unternehmen der Automobilbranche, dessen Belegschaft sich zu etwa zwei Dritteln aus eigenen Arbeitnehmern und zu einem Drittel aus Leiharbeitnehmern zusammensetzte. Die Gesamtzahl der eigenen Arbeitnehmer und der Leiharbeitnehmer lag im streitgegenständlichen Zeitraum im Durchschnitt stets über 2.000. Bei Berücksichtigung der eigenen Arbeitnehmer und nur solcher Leiharbeitnehmer, deren tatsächliche oder prognostizierte Einsatzdauer mehr als sechs Monate betrug, lag sie dagegen durchgehend unter 2.000. Der Gesamtbetriebsrat verlangte nun mit der Argumentation, dass in dem Unternehmen regelmäßig mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt seien, die Bildung eines paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrates. Die Leiharbeitnehmer seien mitzuzählen, da sie auf Arbeitsplätzen eingesetzt würden, die dauerhaft im Unternehmen bestünden. Das Unternehmen argumentierte hingegen entsprechend der bislang wohl herrschenden Ansicht, dass nur solche Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen seien, die selbst über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus im Unternehmen beschäftigt werden. Die Schwelle von 2.000 Arbeitnehmern sei somit nicht überschritten.

Der BGH folgte der Auffassung des Gesamtbetriebsrates. Er stellt darauf ab, wie viele Arbeitsplätze im Unternehmen regelmäßig über die Dauer von mehr als sechs Monaten mit Leiharbeitnehmern besetzt sind. Dabei sei es unerheblich, auf welchen konkreten Arbeitsplätzen die Leiharbeitnehmer in dieser Zeit eingesetzt werden. Entscheidend sei vielmehr, ob der Einsatz von Leiharbeitnehmern so dauerhaft erfolgt, dass sie für die ständige Größe des Unternehmens ebenso prägend sind wie die Stammarbeitsplätze.

Folgen für die betriebliche Praxis

Für Unternehmen, die bisher knapp unterhalb der mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwerte lagen, aber regelmäßig eine größere Anzahl von Leiharbeitnehmern einsetzen, kann sich aufgrund dieser Entscheidung des BGH eine Pflicht zur erstmaligen Bildung eines mitbestimmten Aufsichtsrates oder zur Erhöhung des bestehenden Mitbestimmungsniveaus ergeben.

Darüber hinaus wird die Entscheidung Auswirkungen auf die weiteren mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwerte haben, insbesondere hinsichtlich der Schwellenwerte zur Bestimmung der Größe des mitbestimmten Aufsichtsrates. Auch insoweit werden die vom BGH aufgestellten Grundsätze zu beachten sein. Gleiches gilt bei der Anwendung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung  sowie den mitbestimmungsrechtlichen Regelungen in den Beteiligungsgesetzen für die Europäische Gesellschaft (SE) und die Europäische Genossenschaft (SCE).

Vor diesem Hintergrund sollten Unternehmen und insbesondere deren Unternehmensleitungen, die in erster Linie für die Errichtung gesetzlich vorgeschriebener Aufsichtsräte verantwortlich sind, prüfen, ob Handlungsbedarf besteht oder sich aufgrund der aktuellen Unternehmensplanung in naher Zukunft ergeben könnte.

Gern beraten wir Sie in diesem Zusammenhang zu gesellschaftsrechtlichen und anderen Gestaltungsmöglichkeiten.

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