Marktmissbrauchsverordnung

Die neue Marktmissbrauchsverordnung der EU

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Am 3. Juli 2016 tritt der überwiegende Teil der im Jahre 2014 erlassenen, neuen EU-Marktmissbrauchsverordnung (nachfolgend „MMVO“) in Kraft.

Die MMVO hat als europäische Verordnung allgemeine Gültigkeit. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Die so auf europäischer Ebene bewirkte Harmonisierung wesentlicher Kernbereiche des Kapitalmarktrechts lässt insbesondere Teile des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) hinfällig werden. Dieser Entwicklung wird auf nationaler Ebene durch den Regierungsentwurf des Finanzmarktnovellierungsgesetzes (nachfolgend „FimanoG“) entsprochen, der am 6. Januar 2016 vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Neben den Änderungen im deutschen Recht, die aufgrund der MMVO erforderlich sind, setzt das FimanoG auch eine neue Marktmissbrauchsrichtlinie (nachfolgend „Sanktionsrichtlinie“), die ein verschärftes Sanktionsregime bei Marktmanipulationen zum Gegenstand hat, in nationales Recht um.

Darüber hinaus wirken sich die unmittelbare Geltung der MMVO und die damit einhergehenden Änderungen des WpHG auch auf die bisherige Praxis der BaFin aus. Die bisherige Praxis der BaFin muss einschließlich des Emittentenleitfadens an die Neuerungen angepasst werden.

Durch die MMVO wird ein gemeinsamer Rechtsrahmen für Insidergeschäfte, die Offenlegung von Insider- informationen, das Verbot von Marktmanipulationen (Marktmissbrauch) sowie für Maßnahmen zur Verhinderung von Marktmissbrauch geschaffen. Der Anwendungsbereich der MMVO ist weiter als der Anwendungsbereich des bisher geltenden WpHG. Die MMVO gilt künftig nicht nur für den geregelten Markt, sondern auch für organisierte Handelssysteme (OTF) und den Freiverkehr, sofern die Finanzinstrumente dort auf Initiative des Emittenten gehandelt werden.

Die Regelungen der MMVO sind im Einzelnen sehr umfangreich und können in diesem Beitrag nicht abschließend dargestellt werden. Hervorzuheben sind aber im Besonderen die Neuerungen der MMVO im Bereich des Insiderrechts. Der Begriff der Insiderinformation entspricht im Wesentlichen dem des geltenden WpHG. Neu ist, dass im Rahmen der MMVO nicht nur der zukünftige Umstand oder das Ereignis selbst, sondern auch sog. Zwischenschritte in einem zeitlich gestreckten Vorgang als Insiderinformation betrachtet werden, sofern sie für sich genommen die Kriterien einer Insiderinformation erfüllen. Diese Regelung ist angelehnt an die EuGH-Rechtsprechung im Fall Geltl/Daimler. Die insiderrelevanten Tatbestände der MMVO entsprechen teilweise den Regelungen des WpHG, normieren aber auch gewichtige Erweiterungen. Das Tätigen und Empfehlen von Insidergeschäften ist ebenso wie die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen unverändert verboten. Neu wird geregelt, dass nunmehr auch die Nutzung von Insiderinformationen in Form der Stornierung oder Änderung eines Auftrags als Insidergeschäft gilt, wenn der Auftrag vor Erlangung der Insiderinformation erteilt wurde. Ebenfalls neu ist die umfassende Regelung der sog. legitimen Handlungen. Gemäß der MMVO wird beim Vorliegen von bestimmten Voraussetzungen trotz Vorhandenseins einer Insiderinformation nicht angenommen, dass diese Information genutzt wurde. Es wird in diesen bestimmten Konstellationen mithin nicht von einem verbotenen Insidergeschäft ausgegangen.

Im Kontext des Insiderrechts ist auch der neue Regelungskomplex zu den Marktsondierungen (Market Sounding) zu nennen. Bei einer Marktsondierung werden ausgewählte Investoren im Vorfeld einer Kapitalmarkttransaktion vom Emittenten oder von der Emissionsbank um eine Einschätzung der Erfolgsaussichten der Transaktion gebeten und im Zuge dessen mit relevanten Informationen versorgt. Der Durchführung einer Marktsondierung ist daher ein Risiko, mit dem Weitergabeverbot von Insiderinformationen in Konflikt zu geraten, immanent. Dennoch sind Marktsondierungen als wertvolles Instrument für das ordnungsgemäße Funktionieren der Finanzmärkte anerkannt. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, wird die im Rahmen einer Marktsondierung vorgenommene Offenlegung von Insiderinformationen so betrachtet, als ob sie im Zuge der normalen Ausübung der Beschäftigung oder des Berufs oder der normalen Erfüllung der Aufgaben einer Person vorgenommen wurde, wenn der offenlegende Marktteilnehmer bestimmte, ebenfalls in der MMVO geregelte Verpflichtungen erfüllt. Diese Verpflichtungen sehen u. a. die schriftliche Dokumentation der Offenlegung und die Unterrichtung der Person vor, die die Marktsondierung erhält.

Die Regelungen der MMVO zur Offenlegung von Insiderinformationen (sog. Ad-hoc-Publizität) entsprechen im Grundsatz den Regelungen des bestehenden WpHG. Eine Erweiterung besteht jedoch insoweit, als dass Emittenten alle Insiderinformationen, die der Öffentlichkeit mitgeteilt werden müssen, nicht mehr nur auf ihrer Website veröffentlichen, sondern sie dort auch während eines Zeitraums von mindestens fünf Jahren anzeigen müssen. Ein Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen ist unter eigener Verantwortung weiterhin zulässig, wenn ein berechtigtes Interesse des Emittenten besteht, eine Irreführung der Öffentlichkeit nicht zu befürchten ist und der Emittent die Geheimhaltung der Insiderinformation sicherstellen kann. Hierfür wird eine von der ESMA erarbeitete Leitlinie für die Erstellung einer nicht abschließenden indikativen Liste zur Konkretisierung verschiedener unbestimmter Rechtsbegriffe maßgeblich sein.

Die Regelungen der MMVO bezüglich der Insiderlisten enthalten gegenüber dem WpHG nur geringfügige Modifikationen. So sind die Insiderlisten in einem von der ESMA erarbeiteten Format zu führen. Erwähnenswert sind neben dem Insiderrecht insbesondere die Regelungen zur Marktmanipulation. Verboten ist im Anwendungsbereich der MMVO zukünftig nicht mehr nur die Marktmanipulation an sich, sondern bereits der Versuch hierzu. Zulässige Marktpraktiken sind aber vom Verbot der Marktmanipulation ausgenommen. Dies sind Handlungen, für welche die handelnde Person, die ein Geschäft abschließt, einen Handelsauftrag erteilt oder eine andere Handlung vornimmt, legitime Gründe nachweist und die Handlungen im Einklang mit der zulässigen Marktpraxis stehen. Dabei obliegt es den nationalen Aufsichtsbehörden, die zulässigen Marktpraktiken festzulegen.

Zusätzlich modifiziert die MMVO auch die Vorschriften zu den Directors Dealings, auf die hier aber nicht eingegangen werden soll. Erwähnt sei an dieser Stelle nur, dass Führungspersonen zukünftig während eines Zeitraums von 30 Kalendertagen vor der Ankündigung eines Zwischenberichts oder des Jahresabschlussberichts gänzlich vom Handel des betroffenen Wertpapiers ausgeschlossen sind.

Hervorzuheben sind zuletzt sowohl die vereinheitlichten und verschärften Sanktionsmöglichkeiten als auch die erheblich erhöhten Bußgelder, die zum einen in der MMVO und zum anderen in der Sanktionsrichtlinie geregelt sind. Erwähnenswert ist u. a. der im Rahmen der MMVO normierte Grundsatz, dass die Behörde jede Entscheidung über die Verhängung einer verwaltungsrechtlichen Sanktion oder Maßnahme in Bezug auf einen Verstoß gegen die MMVO unverzüglich, aber erst nach Information der betroffenen Person, auf ihrer offiziellen Website veröffentlichen muss. Dabei werden mindestens Art und Charakter des Verstoßes und die Identität der verantwortlichen Person bekannt gemacht (sog. Naming and Shaming). Ebenfalls bemerkenswert ist die in der Sanktionsrichtlinie vorgesehene strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen, weil es, jedenfalls in Deutschland, bislang kein Unternehmensstrafrecht gibt. Dies wird nach ak- tuellem Stand auch durch das FimanoG nicht geändert. Die Vorgaben zur Verantwortlichkeit juristischer Personen für die Begehung von Straftaten sollen durch das bereits bestehende Zusammenspiel von StGB und OWiG umgesetzt werden.

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